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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Bodmer, Fritz: Die neuere Leonardo-Forschung in Italien
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1104

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Studien und Forfcbungen

bisher mangels genügender Einfühlung in das
Kiefen der Entwicklung Leonardos immer ge-
fcheitert ipt. Die Publikation, die mit einem
guten Äbbildungsmaterial verfehen ift, bringt
eine Reihe unveröffentlichter oder bisher nur
fehr fchwer zugänglicher 3eid)nungen.
Im 3. und 4. der bisher erfchienenen Bände
kommen zwei Vertreter der Waturwiffenfchaften
zum Klort. Giufeppe de Lorenzo macht die
geologifchen KenntnijTe und Hnfchauungen Leo-
nardos zum Gegenftand feiner ünterfuchung.
Er prüft das gefamte 3eid)nungsmaterial, fo-
weit es [ich um Darfteliungen geologifchen In-
haltes handelt, unterfucht die Beziehungen Leo-
nardos zu feinen unmittelbaren und weit zurück-
liegenden Vorgängern des Altertums und kommt
zu dem Refultat, daß Leonardo eine völlig zu-
treffende Vorftellung von den geologifchen Vor-
gängen der äußern Erdrinde und den Faktoren,
die der Gefteinsbildung zugrunde lagen, befaß.
Huch hier wächft Leonardo mit zunehmender
Einficht in das Kiefen feiner Hnfchauungen von
der Erde und den Bedingungen ihrer fortwähren-
den »Handlung zu immer großem Dimenfionen
empor und es bedeutet einen großen Verluft für
die fiel) aus kleinen Hnfängen im 18. Jahrhun-
dert emporarbeitende geologifchen Kliffenfchaft,
daß derKIeg, denLeonardo dreijahrhunderte vor-
her durch feine prinzipiellen Unterfuchungen
fchon geebnet hatte, durch die mangelnde Kennt-
nis feiner Schriften verfd)üttet blieb.
Nicht minder auffchlußreid) iß Giovanni
Battifta de Eonis Arbeit über „Die Pflan-
zen und 'Ciere bei Leonardo“. Mit großer
Sorgfalt werden hier die zahlreichen Pflanzen-
ftudien des Künftlers, die er in vielen hundert
Skizzen mit leichtem Stift zu Papier gebracht,
unterfucht und finden ihre botanifche Beftim-
mung. Dann wird Leonardo als Pflanzenmor-
pbologe gezeichnet, feine Entdeckung der Phi-
lotaxis in ihrer Bedeutung gewürdigt und all
den vielen Spuren nachgegangen, auf denen der
Große als unmittelbarer Vorläufer eines Linne
und Goethe zum Verftändnis der Pflanze als
naturgebundene Dafeinsform vorzudringen ver-
flachte. Das befondere Verdienft des Buches be-
ruht auf dern feinen Verftändnis, mit welchem
die wundervollen 3ßichnungen zur Pflanzen-
morphologie analyfiert und in ihrem rein künß-
lerifchen Klert, der ihre wiffenfchaftliche Be-
deutung noch übertrifft, erfaßt find. Unter den
zoologifchen Kenntniffen beanfprudben unfer In-
tereffe die in den Eierfabeln niedergelegten
Hnfchauungen des Künftlers. Leonardo greift
hier auf die Beftiarien des Mittelalters zurück,
betont aber an ihnen neben dem naturgefdjicht-
licben Intereffe auch die etbifcbe Seite und bie-
tet uns in diefen knappen 3ufammenfaffungen
einen köftlichen Born menfchlicher Kleisbeit, den
Eonis geiftvolle Darftellung durchaus ins richtige
Licht rückt.

An fechfter Stelle haben Enrico Carusi und
Antonio Favaro das Buch Leonardos über
„Bewegung und Berechnung des KIaffers“
in neuer Form herausgegeben, und mit Vergnügen
lieft man die in muftergültiger überßchtlichkeit ge-
ordneten kürzern oder längern Stellen, in denen
der Hydrauliker Leonardo feine vielfache Erfah-
rung über Gang und Bewegung des Kläffers,
über Bau von Sdjleufen und Anlage von Ka-
nälen niedergelegt hat. Die Lektüre iß nicht
immer ganz leicht, aber ftets blickt aus den
mübfamften Betrachtungen und den nüchternften
technifchen Darlegungen der Künßler hervor,
und die wunderfam zopfartig gedrehten Klaffer-
wirbel in einem Schleufenablauf nehmen die-
felbe Form an, wie etwa die kunftvoll ge-
fchlungenen Fjaarßechten der Leda.
In einer zweiten Publikationsreihe beabßcbtigt
Mario Cermenati, allen denjenigen Forfcbern
eine monographiTche Behandlung Eeil werden
zu laßen, die ßct) um die Kliedererweckung Leo-
nardos bedeutende Verdienße erworben und
das Lebenswerk des Künftlers nach Jahrhunderten
völliger oder teilweiferVergeßenheit wieder haben
erßehen laßen. Der erfte von Antonio Favaro
gefchriebene Band ift Gilberto Govi (1826—
1889) gewidmet, der zu Beginn der 70 er Jahre
jenen für damalige 3^it erftaunlicben Verfud)
gemacht, Blätter aus Leonardos Manufkripten
in pbotomecbanifchem Verfahren herauszugeben
und mit einem wißenfchaftlichen Kommentar
zu verfehen. Der zweite Band de Eonis be-
handelt Giovanni Battißa Venturi, der die
3eit, welche ihm eine diplomatifcbe Mifßon in
Paris im Jahre 1797 ließ, zu fyßematifdbem
Studium über die damals nach Frankreich aus-
gewanderten Manufkripte Leonardos benutzte,
über welche er dem Inftitut de France eine
Kommunikation machte, welche damals in der
gelehrten Kielt viel Huffeben erregte. Venturi
iß der erße, welcher ßch die Mühe genommen,
die Leonardofchen Manujkripte zu tranfkri-
bieren und auf ihre wißen fchaftlichen Refultate
hin zu unterfucben. Ihm gebührt der Ruhm, das
fyftematifcbe Studium der bandfchriftlicben Auf-
zeichnungen Leonardos in den zabllofen ver-
ßreuten Manufkripten begründet zu haben.
Endlich möge noch eine Arbeit Ettore Vergas
Erwähnung ßnden, die eine Serie: „Opuscoli
Vinciani“ — ebenfalls vom Leonardo-Inftitut
herausgegeben — einleitet. Sie trägt den Eitel
„Leonardo-Studien in den lebten 50 Jahren“
(1872—1922). Mit Spannung ließ man b'er von
jener Reihe, zuerß mit unzureichenden Mitteln
unternommener Vorßöße in das unerfchloßene
Reich des Geißes Leonardos und man durch"
lebt noch einmal jene 3ßit der letzten 40 und 50
Jahre, in welcher die kleine Leonardo-Gemeinde
mit gefpannter Erwartung jede neue Erfcheinung
und jede Publikation der großen Eextausgaben
in den verfchiedenen Ländern begrüßte.

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