Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI Artikel:
Zwanziger, Walter Curt: Ein neuer Tintoretto-Fund und seine Beziehungen zu El Greco
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1169

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ein neuer Cintoretto-Fund und
feine Beziehungen zu El Greco

Von WALTER CURT ZWANZIGER

Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln

; württembergifcßen Scßloßbefiß ging der Cempelgang Mariä (Äbb. 1) in meine
Privatgalerie über.


Das Gemälde, einft in englifcßem Privatbefiß, galt bisher als Paolo Veronefes
Schöpfung. Selbft Prof. (Ueizäcker war noch diefer Änficht. Das Bild, auf Köper-
leinwand und zwar in Cempera gemalt, ift rentoiliert.
Die gerade Kompofitionslinie, Geftalten wie Perlen an Halsketten aufreibend, zentra-
lifierend fie zum perfpektivifchen Blick- und Brennpunkt — das 3ufcßreitende der Mittel-
figur, den Rückenanfichten jener Schreitenden im „tüunder des heiligen Markus“ (Aka-
demie) und im „Abendmahl“ (San Giorgio maggiore) vergleichbar — trat mit dem
Namen Cintoretto in den Kreis meiner Vorftellung.
Geheimrat Friedländer, meiner Anficbt zugewandt, betätigte, was ich annahm. Seiner
Liebenswürdigkeit verdanke ich den Hinweis auf eine Darftellung gleichen Inhalts und
angeäbnelter Linien- und Perfonenformung in der ebiesa S. Maria dell’Orto. Die
Außenfeite der Orgelflügel jener Kirche, — letzte Rußeftätte Cintorettos, — weift den
Cempelgang Mariä auf (Abb. 2). Bisher Jacopo Robufti zugefeßrieben, der die
lüand des Cßores mit nie ermüdender ürwücßfigkeit feiner Pßantafie, phänomenaler
Olucßt disperfierenden Licßtes, grandiofer Küßnßeit und ßarmonifeßer Gefamtwirkung
[einer Körperformung auflöfte in die Bilder der „Anbetung des Kalbes“ und „des
jüngften Gerichtes“.
Im Vergleich mit dem „Cempelgang“ (Abb. 2) verrät der angebliche Cintoretto in
der S. Maria dell’Orto-Kircße andere 3üge bei zugegebener Anlehnung an Jacopo
Cintoretto.
3ufammengefeßen mit dem Cüürttemberger Bild (Abb. 1) — Formatverfchiedenßeit
vorläufig abfeits fegend — erfteßen wefentlicße ünterfeßiede, Greifbarkeiten für ein
Auge, blickgeübt und kritifcß klar, — Erficßtlicbkeiten, felbft dem Laien deutlich fühl-
bar. Da find Wolkenzüge anders, dort die Creppenwangen. Das Ließt fließt unter-
fcßiedlich, Falten zeigen anderen Wurf. Pßyfiognomie, die Cypik der Figur, das Körper-
maß, die Menfcßgeftaltung differiert.
Engen wir den Kreis zu fpezieller Forfcßung, dann erfeßeint das leicßtßin Aßnlicße
nur immer meßr ein Für-Sicß-Sein und Individuelles — Extrakt der Oberfläcßenfcßau.
Wefentlicße ünterfeßiede: Jene Sugefpitjtßeit einiger Figuren in dem S. Maria dell’-
Orto-Bilde. Dann: Die Nacktheit jener FJintergrundsfigur (Abb. 2) im Gegenfatj zum
Krieger mit der dicken Kette, die den Mantel ßält (Abb. 1). Aus der vorderften der
vier aufgereihten Sifeßguren wird fogar ein GCIeib auf dem S. Maria dell’Orto-Bilde.
Ägypterin vielleicht... Es feßlt im venezianifeßen Bild die linke Figur auf dem Balkon,
ein Freund des Künftlers vielleicht, im Porträt. — Eine weibliche Figur unter dem
Balkon ift ßinzugefügt, Cypen und Stellungen der drei 3uf<ßauer auf der Empore
differieren. — Die Stufenzaßl auf dem Bild in Venedig ift geringer; auch [ißt die letzte
Figur auf gleicher Fjöße wie der ßoße Priefter. — Das Obergewand des Priefters weift
nicht den für ißn typifeßen Cßummim und ürimfcßild auf. — Das Sitjmotiv der rechts
unten angebrachten Frauenfigur mit Kind ift umgeändert, desgleichen auch die rechte
Fjandßaltung Marias. — Freies ümdenken erfeßuf aus Cintoretto-Erwacßfenem eigne
Formeln.

1 Der Verfaffer diefes Beitrages ift Äutor jenes Buches über Dosso Dossi, das 1910 im Verlag
von Klinkßardt & Biermann in Leipzig erfeßien.

Der Cicerone, XVI. Jal)rg., Reft 23

57

1137
 
Annotationen