Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924
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Zwanziger, Walter Curt: Ein neuer Tintoretto-Fund und seine Beziehungen zu El Greco
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Fjerrn Prof. Georg Biermann nun verdanke ich den intereffanten fjinweis auf den
eventuellen Maler diefer Orgel-Cafel. Der Name Greco taucht auf und Biermann ift der
Änficßt, daß vielleicht in den drei oberften Figuren auf der Creppenfpitje — der Frauen-
geftalt und der Figur des Entblößten unter dem Balkon — fowie in jener ägyptifcß
anmutenden Geftalt die Fjand des jungen Cßeotocopuli zu fpüren ift.
ünd in der Cat: Für jene neuen Gebilde, unvereinbar mit dem Formenkanon Cinto-
rettos könnte Greco in Betracht kommen. ÜJäßrend das ülürttemberger Gemälde
(Äbb. 1) zweifellos ein Original des Cintoretto ift, und zwar der fünfziger Jahre des
Cinquecento, würden wir dann in dem Bild der S. Maria dell’Orto-Kirche, zeitlich
fpäter, eine freie Kopie des jungen Greco mit feinen 3utaten, der ihm eignen Cypik
bei den Änderungen und mit allen Schwächen und Vorzügen des Anfängers vor uns
haben. Eine Löfung ficßer, die alle Klahrfcßeinlicßkeit auf ihrer Seite hat. Äußer der
ftilkritifcßen 3uweifung der Umftand noch, daß Greco fcßließlicß Correggios Nacht,
Cizians Petrus Martyr, feine Äuferftehung, feinen Salvator Mundi, des Baffano fjirten-
anbetung (Akademie Venedig) und anderes mehr — umknetend es in eigenes Form-
gefühl — bewußt den Meiftern nachgebildet hat.
Leicht erklärlich) wäre jefet als Grecos 3utat das Ällzuzeichnerifche — vor allem in
der Creppenbehandlung, — das Größenausmaß zwifcßen der Figur und aller Baulich-
keit —, das gotifcß-byzantinifcße Fjocßgefteiltfein der Geftaltengebung neben Caftendem
verfucßter ümgeftaltung, die auf Rechnung feiner Jugend geht.
In dem neuen Cintoretto, früh entftanden, etwa in der 3eit des „Markus tüunders“,
wirkt des Cizian Form- und Farbgefühl noch nach- Die typifch-venezianifd)e Palette:
Carmin erfterbender Sonne zwifcßen den Lagunen, das Rot der majeftätifcßen Mäntel
eitler Kardinäle, Orange wie Glut der fonngereiften Früchte, das Goldgelb fcßönen
Blondhaares üppiger Kurtifanen, das tlltramarin des ßimmels zwifcßen filbernem Ge-
wölk. Ganz tizianifcß noch das Kleid des jungen Kindes jener Venezianerin, die, —
auf den Vorgang zeigend, — unvergleichlich fchönes Schweben zufchreitender Be-
wegung hat. Das Goldgelb diefes Kinderrockes, aufgehöht an einzelnen Stellen, läßt
die Seide füßlen unterm IJieb der Sonnenftraßlen.
(Unerhört die malerifche tüucßt des ganzen Bildes. (Hie das Ließt aus jener hellen
dolke, die die Sonne deckt, die Menfcßen überftürzt! Diefe malerifcße Breite im Be-
handeln jener Riefentreppe, die Felgen Goldes in dem Creppendurcßbrucß, im genialen
Änwurf zwingend ßingefetst! l£Iie viel zeießnerifeßer die Creppe und der Faltenwurf
des S. Maria dell’Orto-Bildes. Auch Friedländer erfeßeint der neu entdeckte Cintoretto
„breiter, ßarmonifeßer und offener gemalt“.
Ein Kunftwerk ßcßerlicß der beften Scßaffenszeit des Meifters, — Vorbild der Orgel-
tafel in der cßiesa S. Maria dell’Orto, — ift die Auffindung diefes Cempelganges un-
bedingt bedeutfam für die Kunftgefcßicßte.
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eventuellen Maler diefer Orgel-Cafel. Der Name Greco taucht auf und Biermann ift der
Änficßt, daß vielleicht in den drei oberften Figuren auf der Creppenfpitje — der Frauen-
geftalt und der Figur des Entblößten unter dem Balkon — fowie in jener ägyptifcß
anmutenden Geftalt die Fjand des jungen Cßeotocopuli zu fpüren ift.
ünd in der Cat: Für jene neuen Gebilde, unvereinbar mit dem Formenkanon Cinto-
rettos könnte Greco in Betracht kommen. ÜJäßrend das ülürttemberger Gemälde
(Äbb. 1) zweifellos ein Original des Cintoretto ift, und zwar der fünfziger Jahre des
Cinquecento, würden wir dann in dem Bild der S. Maria dell’Orto-Kirche, zeitlich
fpäter, eine freie Kopie des jungen Greco mit feinen 3utaten, der ihm eignen Cypik
bei den Änderungen und mit allen Schwächen und Vorzügen des Anfängers vor uns
haben. Eine Löfung ficßer, die alle Klahrfcßeinlicßkeit auf ihrer Seite hat. Äußer der
ftilkritifcßen 3uweifung der Umftand noch, daß Greco fcßließlicß Correggios Nacht,
Cizians Petrus Martyr, feine Äuferftehung, feinen Salvator Mundi, des Baffano fjirten-
anbetung (Akademie Venedig) und anderes mehr — umknetend es in eigenes Form-
gefühl — bewußt den Meiftern nachgebildet hat.
Leicht erklärlich) wäre jefet als Grecos 3utat das Ällzuzeichnerifche — vor allem in
der Creppenbehandlung, — das Größenausmaß zwifcßen der Figur und aller Baulich-
keit —, das gotifcß-byzantinifcße Fjocßgefteiltfein der Geftaltengebung neben Caftendem
verfucßter ümgeftaltung, die auf Rechnung feiner Jugend geht.
In dem neuen Cintoretto, früh entftanden, etwa in der 3eit des „Markus tüunders“,
wirkt des Cizian Form- und Farbgefühl noch nach- Die typifch-venezianifd)e Palette:
Carmin erfterbender Sonne zwifcßen den Lagunen, das Rot der majeftätifcßen Mäntel
eitler Kardinäle, Orange wie Glut der fonngereiften Früchte, das Goldgelb fcßönen
Blondhaares üppiger Kurtifanen, das tlltramarin des ßimmels zwifcßen filbernem Ge-
wölk. Ganz tizianifcß noch das Kleid des jungen Kindes jener Venezianerin, die, —
auf den Vorgang zeigend, — unvergleichlich fchönes Schweben zufchreitender Be-
wegung hat. Das Goldgelb diefes Kinderrockes, aufgehöht an einzelnen Stellen, läßt
die Seide füßlen unterm IJieb der Sonnenftraßlen.
(Unerhört die malerifche tüucßt des ganzen Bildes. (Hie das Ließt aus jener hellen
dolke, die die Sonne deckt, die Menfcßen überftürzt! Diefe malerifcße Breite im Be-
handeln jener Riefentreppe, die Felgen Goldes in dem Creppendurcßbrucß, im genialen
Änwurf zwingend ßingefetst! l£Iie viel zeießnerifeßer die Creppe und der Faltenwurf
des S. Maria dell’Orto-Bildes. Auch Friedländer erfeßeint der neu entdeckte Cintoretto
„breiter, ßarmonifeßer und offener gemalt“.
Ein Kunftwerk ßcßerlicß der beften Scßaffenszeit des Meifters, — Vorbild der Orgel-
tafel in der cßiesa S. Maria dell’Orto, — ift die Auffindung diefes Cempelganges un-
bedingt bedeutfam für die Kunftgefcßicßte.
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