DIE ZEIT UND DER MARKT
Sammlungen
Indifdje Kunft im Boftoner Kunft-
mufeum
(Hie das Mufeum of Fine Arts zu Bofton
pd) rühmen kann, die erfte oftapatifche Kunff-
abteilung außerhalb Japans eröffnet zu haben,
darf es für pch den noch größeren Ruhm in
Änfpruch nehmen, zum erften Male außerhalb
Indiens indifche Kunft allein als Kunft gefam-
melt zu haben. Der Kunff Chinas und Japans
hatte immerhin das Porzellan und der japanifdrje
Farbenholzfchnitt die (Hege geebnet; gegen die
indifche Kunft ftand die gefd)loffene Ablehnung
der älteren Inclologen und die Irreführung der
Laien durch die falfche äffhetißhe und hffto-
rifcheBewertung der helleniffifch-indifchenMifch-
kunft von Gändhära. Der Leiter der indifchen
Abteilung am Boßoner Mufeum, Dr. Ä. K.
Coomaraswamy, ift einer der Vorkämpfer
für die Vertiefung des Verßändniffes der Kunft
feines Mutterlandes gewefen. Daß es ihm ver-
gönnt war, zur Leitung diefes erften 38ugniffes
beginnender Anerkennung indifcher Kunft im
Kleften berufen zu werden, dürfte den fchönffen
Lohn für feine rafflofen Bemühungen bedeuten.
Durchblättert man die beiden mufterhaft aus-
geftatteten Veröffentlichungen S die Rechenfdjaft
geben über den Beftand an indifchen Originalen
im Mufeum of Fine Arts zu Bofton, fo kommt
dem Befdhauer mit aller Schärfe zum Bewußt-
fein, wie befchämend der in Europa noch immer
nicht überwundene Brauch iff, Kunßwerke von
indifcher Meifterhand im Rahmen von Völker-
kunde-Mufeen zu zeigen. Die Kunft jener Völker,
denen die Menfchheit tieffte Gedanken und leuch-
tende Blüten der Dichtung verdankt, wird auf-
geftellt im bunten Gemifch mit Modellen und
modernem Gerät und zur Illuftration von Sitten
und Gebräuchen herabgewürdigt, wie es nun
einmal die Idee der ethnologifchen Mufeen ver-
langt!1 2 Hnter den Stücken des Boftoner Mufeums
gibt es nur wenige, die nicht ernften künffle-
rifchen Anfprücheti genügten. Bisweilen fpürt
man höchftens, daß arcßäologifchen oder Ipffo-
rifchen Intereffen einige 3ugeftändniffe gemacht
wurden. Die Klarnung Grünwedels* vor dem
Sammeln unvollßändiger oder ihrer Rerkunft
nach unbekannter Skulpturen, die den Gegen-
falj zwifchen völkerkundlich - religionsgefchicht-
iicher und kunftgefchichtlicher Auffaffung be-
fonders deutlich zeigt, wurde allerdings in Bofton
1 Ä. K. Coomaraswamy, Catalogue of tl)e Indian
Collections in ti)e Museum of Fine Ärts, Bofton und Port-
folio of Indian Art, Bofton 1923.
2 Eine Ämnatjme mad)t bis zu einem gewiffen Grade
München, wo man den Kunftbefitj wenigltens ifoliert und
eine würdige Aufteilung verfuct)t bat.
‘ Mythologie des Buddhismus, S. 203.
ebenfowenig befolgt, wie in europäifdjen An-
tikenmufeen. Der größte Heil der Sammlung
befteht aus arg mitgenommenen Brudiftücken
zweifelhafter Provenienz. Auch ihr Hmfang kann
mit den etwa 200 Nummern nicht gerade groß
genannt werden. Immerhin findet man wohl
alle Seiten, Provinzen und Kreife indifcher Kunff
vertreten. Es fehlt weder die helleniftifcb-in-
difche Mifchkunft von Gändhära, der weftlichfte
Ausläufer der indifchen Sphäre, noch die Kunff
Javas, der öfflichfte. Brahmanismus, Jainismus
und Buddhismus pnd in gleicher Kleife ver-
treten. Auch von berühmteren Ruinenffätten, wie
Amarävati, Mathurä und Ajantä kann man, wenn
auch nur durch Vermittlung winziger Reffe, einen
Rauch verfpüren.
Dem eigentlichen befchreibenden Katalog fchickt
Coomaraswamy eine allgemeine Einführung
voraus, die die geiffige Atmofphäre der indi-
fchen Kunft in weiteftem Sinne mit jenem liebe-
vollen Eingehen zeichnet, ohne die ein Kunff-
verffändnis unmöglich iff. Rier holt der Ver-
faffer bisweilen etwas zu weit aus und berührt
Dinge, die mit der bildenden Kunff kaum noch
Verbindung haben. Immer aber bleibt er geiff-
reich und anregend. Alles, was er vorbringt, iff
fern von allem toten Kliffen und entffrömt dem
unmittelbaren Leben, das in Indien in ffär-
kerem Grade der Vergangenheit verbunden ijt als
im (Heften. Der allgemeinen Einführung folgt
eine Überficht über die Entwicklung der Plaftik.
Auch hier iff aller veralteter Ballaft, der die Lite-
ratur über indifche Kunft befchwert, über Bord
geworfen und die Refultate der neueften For-
fchungen anerkannt. Es gab eine indifche Kunff
vor Sänchi und Bärhut. Es befteht eine Klahr-
fcheinlichkeit, daß der Buddhatyp rein indifchen
ilrfprungs iff. Indifche Kolonialkunft, ebenfo wie
die chinepfcb-buddhiffifche Klei- und C’angkunff
pnd von der Kunff der Guptaperiode herzuleiten.
Die Gändhärakunft wird ihrer künfflerifchen Min-
derwertigkeit entfprecßend nur geftreift. Der
eigentliche Katalog gibt forgfältige Befchreibun-
gen der einzelnen Stücke. Angabe des Mate-
rials und der Maße fehlen nicht. Auch das
Ikonographifche und Mythologie wird ge-
bührend berückßchtigt. Klenn hier gelegentlich
Fragezeichen zu fejjen pnd, fo berührt das den
Klert der großzügigen Veröffentlichung, der wo
anders liegt, in keiner Kleife.
Gleichzeitig mit dem Katalog bringt das Mu-
feum ein Mappenwerk heraus. Rier fehlt
Coomaraswamys Einführung, nur feine Befchrei-
bungen pnd geblieben. Statt der Autotypien
Lichtdrucke. 3ud8rn hat man die Freude, man-
ches Stück in größerem Maßffabe abgebildet zu
fehen. Die wichtigffe Bereicherung des Mappen-
werkes iff aber die Beigabe einer farbigen Repro-
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Sammlungen
Indifdje Kunft im Boftoner Kunft-
mufeum
(Hie das Mufeum of Fine Arts zu Bofton
pd) rühmen kann, die erfte oftapatifche Kunff-
abteilung außerhalb Japans eröffnet zu haben,
darf es für pch den noch größeren Ruhm in
Änfpruch nehmen, zum erften Male außerhalb
Indiens indifche Kunft allein als Kunft gefam-
melt zu haben. Der Kunff Chinas und Japans
hatte immerhin das Porzellan und der japanifdrje
Farbenholzfchnitt die (Hege geebnet; gegen die
indifche Kunft ftand die gefd)loffene Ablehnung
der älteren Inclologen und die Irreführung der
Laien durch die falfche äffhetißhe und hffto-
rifcheBewertung der helleniffifch-indifchenMifch-
kunft von Gändhära. Der Leiter der indifchen
Abteilung am Boßoner Mufeum, Dr. Ä. K.
Coomaraswamy, ift einer der Vorkämpfer
für die Vertiefung des Verßändniffes der Kunft
feines Mutterlandes gewefen. Daß es ihm ver-
gönnt war, zur Leitung diefes erften 38ugniffes
beginnender Anerkennung indifcher Kunft im
Kleften berufen zu werden, dürfte den fchönffen
Lohn für feine rafflofen Bemühungen bedeuten.
Durchblättert man die beiden mufterhaft aus-
geftatteten Veröffentlichungen S die Rechenfdjaft
geben über den Beftand an indifchen Originalen
im Mufeum of Fine Arts zu Bofton, fo kommt
dem Befdhauer mit aller Schärfe zum Bewußt-
fein, wie befchämend der in Europa noch immer
nicht überwundene Brauch iff, Kunßwerke von
indifcher Meifterhand im Rahmen von Völker-
kunde-Mufeen zu zeigen. Die Kunft jener Völker,
denen die Menfchheit tieffte Gedanken und leuch-
tende Blüten der Dichtung verdankt, wird auf-
geftellt im bunten Gemifch mit Modellen und
modernem Gerät und zur Illuftration von Sitten
und Gebräuchen herabgewürdigt, wie es nun
einmal die Idee der ethnologifchen Mufeen ver-
langt!1 2 Hnter den Stücken des Boftoner Mufeums
gibt es nur wenige, die nicht ernften künffle-
rifchen Anfprücheti genügten. Bisweilen fpürt
man höchftens, daß arcßäologifchen oder Ipffo-
rifchen Intereffen einige 3ugeftändniffe gemacht
wurden. Die Klarnung Grünwedels* vor dem
Sammeln unvollßändiger oder ihrer Rerkunft
nach unbekannter Skulpturen, die den Gegen-
falj zwifchen völkerkundlich - religionsgefchicht-
iicher und kunftgefchichtlicher Auffaffung be-
fonders deutlich zeigt, wurde allerdings in Bofton
1 Ä. K. Coomaraswamy, Catalogue of tl)e Indian
Collections in ti)e Museum of Fine Ärts, Bofton und Port-
folio of Indian Art, Bofton 1923.
2 Eine Ämnatjme mad)t bis zu einem gewiffen Grade
München, wo man den Kunftbefitj wenigltens ifoliert und
eine würdige Aufteilung verfuct)t bat.
‘ Mythologie des Buddhismus, S. 203.
ebenfowenig befolgt, wie in europäifdjen An-
tikenmufeen. Der größte Heil der Sammlung
befteht aus arg mitgenommenen Brudiftücken
zweifelhafter Provenienz. Auch ihr Hmfang kann
mit den etwa 200 Nummern nicht gerade groß
genannt werden. Immerhin findet man wohl
alle Seiten, Provinzen und Kreife indifcher Kunff
vertreten. Es fehlt weder die helleniftifcb-in-
difche Mifchkunft von Gändhära, der weftlichfte
Ausläufer der indifchen Sphäre, noch die Kunff
Javas, der öfflichfte. Brahmanismus, Jainismus
und Buddhismus pnd in gleicher Kleife ver-
treten. Auch von berühmteren Ruinenffätten, wie
Amarävati, Mathurä und Ajantä kann man, wenn
auch nur durch Vermittlung winziger Reffe, einen
Rauch verfpüren.
Dem eigentlichen befchreibenden Katalog fchickt
Coomaraswamy eine allgemeine Einführung
voraus, die die geiffige Atmofphäre der indi-
fchen Kunft in weiteftem Sinne mit jenem liebe-
vollen Eingehen zeichnet, ohne die ein Kunff-
verffändnis unmöglich iff. Rier holt der Ver-
faffer bisweilen etwas zu weit aus und berührt
Dinge, die mit der bildenden Kunff kaum noch
Verbindung haben. Immer aber bleibt er geiff-
reich und anregend. Alles, was er vorbringt, iff
fern von allem toten Kliffen und entffrömt dem
unmittelbaren Leben, das in Indien in ffär-
kerem Grade der Vergangenheit verbunden ijt als
im (Heften. Der allgemeinen Einführung folgt
eine Überficht über die Entwicklung der Plaftik.
Auch hier iff aller veralteter Ballaft, der die Lite-
ratur über indifche Kunft befchwert, über Bord
geworfen und die Refultate der neueften For-
fchungen anerkannt. Es gab eine indifche Kunff
vor Sänchi und Bärhut. Es befteht eine Klahr-
fcheinlichkeit, daß der Buddhatyp rein indifchen
ilrfprungs iff. Indifche Kolonialkunft, ebenfo wie
die chinepfcb-buddhiffifche Klei- und C’angkunff
pnd von der Kunff der Guptaperiode herzuleiten.
Die Gändhärakunft wird ihrer künfflerifchen Min-
derwertigkeit entfprecßend nur geftreift. Der
eigentliche Katalog gibt forgfältige Befchreibun-
gen der einzelnen Stücke. Angabe des Mate-
rials und der Maße fehlen nicht. Auch das
Ikonographifche und Mythologie wird ge-
bührend berückßchtigt. Klenn hier gelegentlich
Fragezeichen zu fejjen pnd, fo berührt das den
Klert der großzügigen Veröffentlichung, der wo
anders liegt, in keiner Kleife.
Gleichzeitig mit dem Katalog bringt das Mu-
feum ein Mappenwerk heraus. Rier fehlt
Coomaraswamys Einführung, nur feine Befchrei-
bungen pnd geblieben. Statt der Autotypien
Lichtdrucke. 3ud8rn hat man die Freude, man-
ches Stück in größerem Maßffabe abgebildet zu
fehen. Die wichtigffe Bereicherung des Mappen-
werkes iff aber die Beigabe einer farbigen Repro-
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