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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Poglayen-Neuwall, Stefan: Eine Ausstellung frühgotischer Plastik bei der Kunsthandels-A.-G. (Palais Eszterházy) Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0213

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Eine Äusftellung fr üfygotifdjer Plaftik bei der
Kunftfyandels-Ä.-G. (Palais Esztertjäzij) [Oien
Von ST. PO GL AYEN-NEUWALL

Mit vier Abbildungen auf vier Tafeln

Qm die Jahreswende ift in der Klallnerftraße durch
den Leiter der Kunßhandels-Ä.~G. Dr. F. Kies-
linger eine der bemerkenswerteften rückfchauen-
den Äusftellungen, die Klien feit dem 3ufammen-
bruch gefehen hat, eröffnet worden: eineÄuslefe
bisher der großen Öffentlichkeit unbekannter, früh"
gotifcher Skulpturen, zumeift aus Kliener Privat-
befife. In der Hauptfache öfterreid)ifd)er Her-
kunft, laffen [ie uns die Entwicklung gotifcher
Plaftik auf öfterreichifchem Boden Schritt für
Schritt, von der Klende des 12. bis zur Mitte
des 15. Jahrhunderts, verfolgen.
Von den den Qypus der byzantinifchen Qheo-
tokos abwandelnden Madonnendarftellungen des
13. und frühen 14. Jahrhunderts fei der um
1300 angefetjten Madonna aus der Pfarrkirche
von Enns (Nr. 22)1 (Äbb. 2) Erwähnung getan.
Ein impofantes Kultbild von ungewöhnlicher
Größe (feine Höhe beträgt 1,5 m), deffen ftarre
Haltung, fchematifch-regelmäßige Gepdjtszüge,
parallel geführte Fältelung des Oberkleides die
Erinnerung an thronende Göttinnen der archai-
fchen Kunft wacpruft. Von gänzlich anderem
Charakter, wenn auch älter (zwifdßen 1260
bis 1290 entftanden), fo doch viel vorgefchrit-
tener, die der Muttergottes vom 'Cympanon der
Leechkirche zu Graz (um 1283) verwandte Ma-
donna aus der ehemaligen Sammlung 3afeka
(Nr. 5), aus deren Äntlitj und Bewegtheit des
Qmriffes ftärkftes inneres Erleben fpricht. Eine
machtvolle, überlebensgroße, ftehende Madonna
mit Chriftuskind (Nr. 14) (aus dem fpäten 13. Jahr-
hundert), deren majeftätifcher Eindruck noch durch
den großzügigen, tief unterfchnittenen Faltenwurf
gehoben wird, wurde vom kunfthißorifchen Mu-
feum bald nach Eröffnung der Äusftellung er-
worben und (leider) bereits nach wenigen Lagen
in das Mufeum überführt. (Äbb. 3.)
GQährend diefem Klerk noch die Klucht und
Schwere des Übergangsftiles eignet, erfcheint
die aus Laa in Niederöfterreich ftammende Ma-
donna mit dem Chriftuskind (Nr. 39) (aus dem
ausgehenden 14. Jahrhundert) zu einer mächtig
emporfchäumenden Kloge zufammengefchloffen.
Die Madonna nicht mehr die Himmelskönigin
der älteren Kunft, fondern die Mutter, im Chriftus-
knaben nicht mehr das Göttliche, fondern das
Kindlich-Menfchliche betont.
Äls Richtung gebend für die öfterreichifche
1 Für die Nummern vergleiche man den von Dr. F. Kies-
linger berausgegebenen „Katalog der Äusftellunq früfjgo-
tifcber Plaftik in ttlien“, Sonderheft des „Belvedere", ßd. IV,
Doppelheft 16/17, ülien 1923.

Kunft des 14. und frühen 15. Jahrhunderts be-
trachtet F. Kieslinger1 die fogenannte Kliener
„Herzogswerkftatt“, deren Grund er durch die
Habsburger des 14. Jahrhunderts, vornehmlich
den kunftliebenden Herzog Rudolf den Stifter
(f 1365), den Erneuerer der Stephanskirche, ge-
legt denkt. Ihr fchreibt er auch Klerke zu, die
ehedem unter dem Einfluß M. Dvofaks als böh-
mifch angefehen wurden, darunter die um 1390
anzufefsende „Krumauerin“ im Kliener kunft-
hiftorifchen Mufeum und eine aufs engfte mit
ihr zufammengehende Madonna im Kliener Pri-
vatbeph (Nr. 44), die den Höhepunkt der Äus-
ftellung bildet (Äbb. 1). Qnd ähnlich denkt fiel)
Kieslinger auch, rückfchließend von der Menge
einander ähnelnder Vefperbilder öfterreichifcher
Herkunft (deren bedeutendes, im Kaifer-Fried-
rich~Mufeum, inBaden beiKlien erworben wurde),
den hier vorliegenden Lypus, von dem [ich in
der Äusftellung zwei Abwandlungen (Nr. 49, 65)
aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts
vorpnden, in Klien gefchaffen (Äbb. 4).
Für die Vermittlung füddeutfehen (vornehmlich
bayrifchen) Einfluffes nach dem Öfterreidbifchen
kommt dem alten Bifchofsßh Salzburg befondere
Bedeutung zu. Qnter den Klerken, die Kieslinger
dahin lokalipert (und unter die auch eine der
Gottesmutter des Salzburger Franziskanerklofters
verwandte, thronende Madonna [Nr. 55] [um 1420
angefeijt] und eine jüngere, reliefmäßige Dar-
ftellung der Frauen am Grabe zu rechnen pnd),
fei einer eigentlich bereits der Spätgotik ange-
hörenden (bayrifchen Skulpturen naheftehenden)
Madonnenßatue (Nr. 69) als der eindrudcsvollften
Schöpfung jenes Kreifes befondere Erwähnung
getan. Überlebensgroß, von ähnlich impofanter
Klirkung wie die vom kunfthiftorifchen Mufeum
erworbene, frühe Madonna, fteht fie, den Qnter-
körper weit herausgedreht, von den weit fich
baufchenden und brechenden Falten ihres Man-
tels umfloffen, auf der Mondfichel, auf ihrem
linken Ärm das Chrißuskind, in ihrer Rechten das
3epter.
Qnter den fpärlichen und qualitativ weniger
bedeutfamen Arbeiten lateinifcher (italienifcher
und franzöpfcher) Gotik fei eines überlebens-
großen Kruzipxus aus dem Venezianifchen (Nr. 18)
(von etwa 1340) gedacht, ob des ungemein aus-
drucksvollen Äntlitjes des durchaus realiftifd) auf-
gefaßten Gekreuzigten.

1 Vgl. aud) F. Kieslinger, 3ur Gefdjidjte der gotifd)en
Plaftik in öfterreld), lüien 1923.

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