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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0394

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DIE ZEIT UND DER MARKT

Sammlungen
Deffauer Mufeumspläne
Das anpaltifcbe Staatsminifterium hat pch ent-
fchloffen, ein Kunßmufeum neu zu errichten, und
zwar an der Stelle des vor zwei Jahren abge-
brannten Cpeaters und in arcpitektonifcber Ver-
bindung mit deffen erhaltener Faffade. Die Mittel
pnd aus dem bereits abgefchloffenen Verkauf der
anhaltifchen Kunßhalle an einen Gefchäftsmann
gewonnen werden. Mit den Arbeiten will man
alsbald beginnen.
Vereinigt werden [ollen in dem neuen Ge-
bäude der Kunftbeplj der Amalienftiftung und
des Cilörli^er gotifchen Fjaufes mit Leihgaben
des herzoglichen Fjaufes und der Stadt Deffau.
Nach gewiß nötigen Reduktionen beim Amalien-
ftift und gotifchem F)aus wird fo ein Block von
350 Bildern entftehen. Dazu [oll die aus Fried-
länders auszugsweifer Veröffentlichung bekannte
Fjandzeidbnungsfammlung der ehemaligen Be-
hördenbibliothek kommen, die man wohl aus
ihren beiden Klebebänden des 18. Jahrhunderts
löfen wird, hoffentlich fixiert man dabei den
hoch ft intereffanten Komplex literarifch und pho-
tographifch in ausreichender ttleife1. Auch für
kunßgewerbliche Sammlungen iß Plalj vorge-
fehen, ebenfo für wechfelnde Äusßellungen zeit-
genöffifcher Kunß.
Der Plan ift großzügig und niemand wird feinem
Verfaffer beftreiten, daß eine Neuordnung des
anhaltifchen Kunftbefitjes in töörlih und Deffau
eine Notwendigkeit ift. Die vorgefchlagene Form
aber hat leider zu einem fchweren Konßikt der
Regierung mit dem herzoglichen haus geführt,
das bisher an dem anhaltifchen Kulturleben einen
unvermindert parken und tätigen Anteil genom-
men hat. Seine Vertreter ftehen auf dem Stand-
punkt, daß das der Cheaterftiftung gehörige
Grundftück des alten Cheaters in erfter Linie
wieder für einen Cheaterneubau zu verwenden
fei oder daß zumindeß vor der Mufeumsfrage
die Frage des Cßeaterneubaus endgültig geklärt
werden müffe. Diefe Differenzen fcheinen pch
zum Prozeß auszuwachfen.
CHer den rein privaten Kunftbeph des aska-
nifchen haufes auch nur oberßächlich kennt, muß
diefe Situation als eine beklagenswerte Baps
für das neue Mufeum anfehen. Man denke nur
an die Möglichkeiten befrißeter Leihgaben von
Einzelftücken über die Anzahl der vertraglich
feftgelegten Dauerleihgaben hinaus und die da-
raus ßch ergebenden Anregungen , deren man
pch durch eine Verfeindung begibt.
1 Sollten nictjt in den anl)altifd)en Bibliotheken and) die
Grundlagen für eine Kupferftid)|ammlung ftecken? Das
Vorhandenrein diefer 3eichnungsbände fprid)t dod) Tehr
dafür.

3u diefen Bedenken fozufagen diplomatifcher
Art kommen allerdings noch einige andere: 3u-
nächß wird man den Architekten nicht beneiden,
der einem vollftändigen Mufeumsneubau fo gar
kein eigenes Gepcht geben darf, fondern pch
mit einer wenn auch fehr fchönen Maske be-
gnügen muß. Davon abgefepen aber fcbeint es,
als ob man in dem bisherigen Beftand des go-
tifchen Fjuufes und des Amalienftiftes nur ein
Refervoir für eine möglichft repräfentable Galerie
pej)t, nicht aber etwas gefchichtlich Gewordenes,
das als folches feinen Charakter und feine be-
ßimmte Richtung hat, denen man felbß bei ürans-
iozierungen Rechnung tragen muß. Es ift zu
befürchten, daß man pch dabei verrechnet. Eine
Sammlung von 350 Bildern bleibt eine kleine
Galerie, pe entfpricht zahlenmäßig etwa der
bayerifchen Provinzialgalerie Augsburg. Gerade
diefe hat allerdings eine ausgefprocbene Phypo-
gnomie, eben eine augsburgifche, die hier nicht
weiter depniert zu werden braucht. Die beiden
Sammlungen, die den Grundßock des Deffauer
Mufeums abgeben follen, haben nun zwar in-
folge ihrer nahen Verwandtfchaft eine Art von
Gefamtphypognomie, diefe iß aber viel leichter
zu verwifchen, als z. B. die der Augsburger
Galerie: es ift eine perfönliche der Begründer
und vor allem eine gefchichtliche des Moments,
in dem die Sammlungen entftanden. Dazu kommt,
daß die ganz großen Meißer kaum vertreten
pnd, jedenfalls keiner mit einer Gruppe von
Cüerken, die genügend Gewicht hätte, um eine
führende Stimme zu übernehmen. Fjat man bei
der Auswahl der töerke aus ttlörlifj und dem
Amalienftift hierauf wohl Rückpcht genommen,
oder iß man nur „kunßhißorifch“ vorgegangen?
Dann wäre zu befürchten, daß die notwendiger-
weife unbarmherzige Neutralität der modernen
Sammlungsräume uns eine Entläufchung bringen
wird. Nur ein fcharfes Fj^rausarbeiten der Vor-
lieben der Sammlungsbegründer wird gerade
in diefem Fall der Sammlung zu einem Geßcht
verhelfen können, hierbei wird dann auch der
Kunßhiftoriker gewinnen. Qm ein weniger in
die Augen fallendes Beifpiel zu wählen, fei an
die ungewöhnlich reiche Vertretung der „vor-
klaffifchen“ niederländifchen Landfchaft erinnert,
die durch gleichfalls vorhandene Proben der Fi-
gurenmalerei um 1600 belebt, einen befonderen
Reiz der neuen Sammlung ausmachen kann. Die
Fjandzeichnungsfammlung der Behördenbibliothek
gibt übrigens in dem nicht veröffentlichten Ceil
die amüfantefte Ergänzung dazu, fo wie ihre
veröffentlichten Blätter die Abteilung der (Xlör-
litjer „Primitiven“ glänzend erweitert.
Man wird die beße Probe der zu leißenden
Arbeit geben können, wenn man während der
Dauer des projektierten Neubaus im Amalienftift
eineAuswahlausftellung veranßaltet, die einQrteil

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