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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0316

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DIE ZEIT UND DER MARKT

Berliner Äusftellungen
Licbermann und 3eitgenoffen / 0. Moll /
R. Genin /M. Paah / 0. Freundlid} / Bort-
ngik / J. van IJeemskerdc / C. Owen.
Eine kleine Lieber mann - Rctrofpektive zeigte
bei Caffirer etwa zwölf weniger bekannte
Stücke aus allen Jahrzehnten, abfchließend mit
dem im Schwung fo großartigen „Polofpiel“ von
1912. Befonders eindrucksvoll die im Bon wun-
derbar gefättigte, warm leud)tende „Gemüfe-
händlerin“ von 1874, ein in F)ellfarbigkeit kni-
fterndcs, kompliziert geteiltes „Atelier“ von 1902,
ein „Gemüfemarkt in Delft“ von 1907, fuggefliv
in der Sdirägleitung der Kähne und der Sinn-
fälligkeit moderiert - lebhaften Creibens, und
fcbließlicb das kräftigfrifcbe Gartenlokal „Oude
Vinck“ von 1911, prädbtig in feiner Gonfülle
und dem Ausdruck folenn-läffigenNaturgenießens.
((Hann kommt einmal die ganz große 3ufammen-
[tellung diefes immenfen Schaffens?) Slevogt
kam mit einigen Gemälden dagegen nicht ent-
fernt auf; nicht nur ein frühes Koftümbild, aud)
ein fimples Änanasftilleben (1906) von ihm wirkt
neben der geweiteten, fd}lid}ten Art Lieber-
marms unbeberr[d)t, fineffierend. Slevogt ift als
Maler immer opernhaft, und fei es nur in einem
flüchtigen Bunt zuviel. Äbrundend fd}ließlid)
etliche Crübners, zum Geil beftechend in ihrem
gründämmernden Klang, und ein unerhört vor-
nehm aus grauen HIerten und etwas Gold ge-
wobenes, pelzigweich fd}immerndes Stilleben
von Sd)ud}. —
Manches Sd)öne fand [ich in der Galerie
Lut> vereint. Bezaubernd und beftrickend ift
je^t Oskar Moll: ein Künftler, um den Paris
uns beneiden müßte, tüie Morgenlicht und blaß-
bunter Gau riefelt und träuft es durch feine
Landfchaften und Blumenftüdce. Ein gläferner
Klang, ein Opalglühen fchwingt ein in zärtlich-
kühle Verfponnenheit duftiger Cöne. Leicht wie
Muffeline legt fid} fiiß fd}immerndes Rofa gegen
das grüne (lieben und Läd}eln, etwa bei Akten
am öüaldweiher. Oder es träumt ein blauer
Krug vom Fenfterbrett hinaus in die hell atmende,
fein irifierende Parkfrühe. Manchmal glitzert es
auf und entrüdct das Greifbare foweit, daß
man an Odilon Redon denkt, find Velasquez
verleugnet fid} nid)t in der Inftrumentierung.
Die Gefahr der Luxusmalerei ift nicht zu ver-
kennen. Gleichviel: es umfängt und beglückt.
Ferner eine Folge von Rötelzeid}nungen von
A. Grunenberg: „Die Gänze der Karfavina“,
befchwingt und buchend im Strich, dabei recht
prägnant in der Erfaffung der tänzerifchen Fi-
guren, der Körperdrehung, des Sprungs. Robert
Gen in fodann mit Aquarellen, die mich zum
erftenrnal von diefem Künftler überzeugt haben.

In fparfarner, großzügiger Pinfelfcbrift gibt er
das dämmernde Hnbcgreifen von Menfchen, in
deren ftämmiger Banalität ein Rätfelhaftes krcift
die Apad}enfd}wermut, das dumpf erregte Sinnen
von Frauen, die ihren 3opf kämmen. Chagall
und Paula Moderfofm fcheinen da überein ge-
kommen, Die 3artheit des Vortrags mehrt die
ünheimlichkeit, das Beklemmende diefer Blätter,
um zugleich als malerifche Delikateffe zu wirken.
Nach Alledem fprad} nun Martin Paalj faft
derb und laut an; aber wenn auch bei diefem
in der Unmittelbarkeit feines Naturverl}ältniffes
recht fympathifchen Künftler vieles einen Grad
unruhiger und jcßärfer herauskommt, als es be-
abfichtigt fcbeint, — über feinen blühenden Qaus-
gärten, Kliefen und Äckern waltet doch die Stille
gedeihenden Erdlebens, und zwifchen den Dingen
fchwingt ftets eine leife (Härme, eine kräftige
und füllige, auch wohl abendlich milde Unver-
fänglichkeit. Zumal in den Aquarellen blül}t über
einer Goldtonbegleitung die Farbe reich und frei,
während im Ölbild zuweilen ein zu maffives
Bild überhand nimmt. In einfach gefaßten Bild-
niffen, einer groß und innig gefehenen „Mutter
mit Kind“ wiinfd}te man fid} befonders etwas
gedecktere (Hirkungen. Und wenn Paa§ auch
deutlich nad} 3ufammenfaffung ftrebt, fo mangelt
feinen Bildern doch häufig die eindeutige Ak-
zentverteilung und die zentrierte Ordnung, daher
fie einander in der Anstellung eher beeinträd}-
tigen als heben. Gleichwohl gewann man den
günftigen Eindruck einer reinen und nicht ate-
liermäßigen, mitfamt ihren Sd}wächen durchwegs
echten Kunft. —
Im GraphifchenKabinett wurde abermals
das Beftreben der neuen Leitung Nierendorf
evident, verhältnismäßig unbekannte Leute her-
auszubringen und die Diskuffion zu beleben.
Otto Freun dlid} ift ein Abfeitiger, der in außer-
ordentlich farbfchönen Paftellen von ornamen-
taler Figuration manchen Reiz klarfchmelzenden
Leud)tens und fcbrnetterlingsbafter Seltfamkeit
entwidcelt, ----- Klänge aber nicht in Form um-
zufehen, nid}t zielvoll geftalterifd} zu gruppieren
weiß. Ein ähnliches Ergebnis zeitigt fein Fjolz-
[cbnitt, der wie ein Kompofitgebilde aus Minne
und Kandinfky anmutet, alfo gotifierend Vege-
tatives in bizarr mufternden Symbolismus (mit
exotifcbem Beiklang) einmünden läßt. Ein Eigen-
brötler. FJinter dem in Kleimar lebenden Hngarn
Bortnyik dagegen fteht der Internationalismus
und die tHerkftattgefinnung der Stijlgruppe. Der
Fundus geometrifcber Vokabeln ift immerhin
durch Gefäßformen, Kreifelkörper, zuweilen Man-
nequins von l}öd}ft kompreffer Fjaltung und blen-
dend harten Hmriffen erweitert. Der bloße Karton
tieft fid} zuweilen zur Bildbühne, auf der raum-
fchaffende Podien und mächtig vorgefd}obene

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