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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Glaser, Curt: Edvard Munch
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Bureau, Noel: Marcel Gromaire
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1051

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endlich verftehen gelernt traben, wie diefer [djeinbare Mangel zum eigentlichen Hlerte
wird, wie in den allzu wohlgepflegten Garten europäifcher Kunft der jugendftarke Meifter
aus Nordland einen neuen Baum gepflanzt hat, in deffen Schatten ein paar Blümlein
wohl verwelken müffen, der aber mit feinen breiten Äften herrlicher anzufchauen ift
als ein Beet zierlicher Pflanzen, denen feine kräftigen (Hurzeln den Boden abfaugten.

Marcel Gromaire

Von NO EL B U RE AU j Mit
vier Abbildungen auf zwei Tafeln

Unter den Künftlern feiner Generation fteb)t er allein. Er folgt niemand, und feine
ftarke Perfönlidjkeit hat feine Nachfolger beizeiten müde gemacht. Sein neuer
3ulauf fiat ihm, da er ohne 3ngeftändniffe und Anlehnungen ift, zahlreiche Ver-
leumder gebracht. Indeffen erweckte er in den Salons das allerhöchfte Intereffe, und
die Äusftellung, die er voriges Jahr in der Galerie de la Licorne hatte, ergab Einftim-
migkeit der Beurteilungen, auch von feiten der Genoffen, weil eine gut geordnete und
klare Einheit des (Herkes und der Fortfchritte darin feftzuftellen waren.
ßinter feiner amerikanifchen Brille kreift fein Blick, der eines nordifchen Menfchen
voller Demut, Ruhe und Offenheit, um die Dinge, dringt in die Schatten, verwundert
fich über das Licht — ift fo empfindlich, vielleicht durch das Erbteil aus heimatlicher
Erde, für das Fjell-Dunkel flämifcher Innenräume mit der Intimität ihrer warmen
Streiflichter auf den Schwellen, für die durch halboffene Fenfter hereinblickenden Land-
fchaften. Aber unter diefer Anmut verbirgt fich ein fcfter GCIille, der fich nicht damit
begnügt, die Dinge zu umkreifen, fondern ihnen an ßerz und Seele geht.
Als moderner Menfch mit der Großftadt verwarfen, mit ihrem Fieber und dem
Geifteszuftand ihrer Maffen verfielet er die Seele der Bauern, das Abgegriffene, aber
Ungehobelte darin und ihre inftinktive Derbheit ebenfogut wie die der Städter.
„ . . . aux durs
yeux que leurs paupieres ne mouillent, et leur häte
ä donner de la tete aux angles de leurs murs
en suivant vers la nuit leur äme inassouvie
de Demains! et l’angoisse de leur nuque plate
ä queter les venir d’une eternelle envie . . \
Als unerbittlicher Beobachter führt er uns mitten hinein ins Geheimnis des wirklichen
Lebens, der Quelle, daraus eine mächtige Suggeftionskraft entfpringt. Der Menfch wie
die Gegenftände werden auf der Leinwand nicht in der gewöhnlichen Erfcheinung,
fondern der ihnen eigenen GUefensart entfprechend feftgehalten. Die von ihnen aus-
gehende Erregung ift fynthetifcber und allgemeiner Art.
Auf einem Bahnhof ifts, zwifdhen der Fjaft der Beamten und Reifenden, die ßärte
des Abfchieds — Spleen, Unbekanntes, Cräume brauen — die rote Scheibe wie ein
Alarmruf. (Heiter hinten ein erfter Cunnel. Eine Ecke dichten, fchweren Fjimmels . . .
Dann das Innere eines Metro-GUagens. Die harte, fahle Beleuchtung auf all diefen
Menfchen, die das gleiche unentrinnbare, unfinnige Gefd)ick zu unterjochen fcheint; die
an die tägliche Notwendigkeit gefeffelt find und wie fortgeriffen fcheinen, hinein ins
Rollen.
GHieder wo: die Liefe eines Kramladens, wo die Seele der Dinge um den Pfeife
rauchenden Fjöker herum fd)ummert. — Und das Meer: ein Dunftftreif, quer durch-
gezogen, fcheint eine Unendlichkeit hinter fich zu verbergen.

1 Rene Gf)il = le Pantoun des Pantoun.

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