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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Kühn, Herbert: Die Skulptur von Lespugue
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0367

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Die Skulptur von Lespugue
Mit sieben Abbildungen auf zwei Tafeln Von HERBERT KÜHN

Die Kunftbetätigung des Menfcßen beginnt im Äurignacien, einer Epoche des mitt-
leren Paläolitßikums, einer 3eit der Kälte, woßl des ßößepunkts der letzten großen
Vereifung der Erde.
Das Moufterien, die Stufe, die dem Äurignacien voranging, ift oßne jedes Kunft-
werk. Der Menfcß diefer 3eit, der Neandertaler, lebte nocß oßne Scßmuck, oßne 3ierde,
oßne Bedürfnis der Geftaltung der Umwelt.
Im Äurignacien beginnt die Kunft, im Äurignacien erfcßeint ein anderer Menfcß,
der ßomo aurignaciensis, der Ketten aus Mufcßeln trägt, der ficß fcßmückt, der das Be-
dürfnis des Formens, des Bildens, des Geftaltens ßat. Im Äurignacien erfcßeint aud)
ein anderes Werkzeug; der Fauftkeil verfcßwindet, Scßaber und Krater bekommen
neue Formen, das Werkzeug des Künftlers kommt vor, der Grabfticßel, Knocßenwerk-
zeuge erhalten größere Bedeutung, Nadeln und feine Spieen taucßen auf.
Ob die zweite Raffe, die aucß im Äurignacien erfcßeint, die Raffe von Crö Magnon,
aus der Vermifcßung von Neandertalern und Äurignacmenfcßen entftanden ift, wie
Klaatfcß wollte, ob fie einwanderte oder aus eigenen Wurzeln entftand — das ift nocß
ungeklärt — offenbar ift die große Urennungslinie, die neue, anders geartete Kultur,
die mit dem Äurignacien beginnt.
Eine früßere 3ßit. Piette1 und Girod und Maffenat2 ßaben die Rundfkulptur als die
ältefte Form der Kunft angefeßen, von Winckelmann bis Riegl und Deffoir ift diefer
Gedanke der füßrende geblieben. [Dir wiffen ßeute, durcß unzweideutige, zeitlicß zu-
weisbare Funde beleßrt, daß im Äurignacien Skulptur und ümrißzeicßnung nebenein-
ander erfcßeinen.
Äber — und das ift docß beacßtenswert — die Skulptur, befonders die der menfcß-
licßen Geftalt, erfcßeint am ßäußgften im Änfang, im Äurignacien. Äus dem Solutreen,
der folgenden Stufe, ift bisßer nur eine Skulptur des Menfcßen gefunden worden, im
Often, im Löß von Predmoft3, eine Figur unfertig, roß, die in keiner Bezießung fteßt
zu der ßoßen Kunft der voraufgegangenen Seit. Eine Reliefdarftellung, die in einer
Solutreenfcßicßt in der ßößle Lauffel4 von Lalanne gefunden wurde, geßört anfcßeinend
nucß ins Äurignacien und ift nur in einer fpäteren 3^it von der Wand, in die es ein-
gemeißelt war, abgefallen.
Dem Magdalenien, der Stufe, die die vollendeten farbigen Wandmalereien bringt,
die fcßönften 3eugniffe diefer uralten 3^it, können mit einiger Sicßerßeit nur vier
menfcßlicße Skulpturen zugerecßnet werden, zwei recßt unvollkommene, woßl ßalb-
fertige5 *, eine Figur aus Pferdezaßn gefcßnifet, aus Mas d’Äzil® und eine andere weib-
licße Figur aus Laugerie-Basse7.
Älle übrigen menfcßlicßen Skulpturen geßören dem Äurignacien an. Im Äpril 1922
ßat Rene de Saint-Perier in einer Äurignacienfcßicßt eine neue Skulptur entdeckt, die
1 Ed. Piette, Notes pour servir ä l’bistoire de l’art primitif. L’Äntbropologie, t. IV, 1894.
2 Girod et Maffenat, Les Stations de l’äge du Renne. Paris 1900, S. 88.
3 Obermaier, Der Menfd). I, S. 219.
4 L’Äntbropologie. 1911, S. 259.
5 Erftens: Girod et Maffenat, Stations de l’äge du renne. I, 2 a. 3weitens: Piette, L’art pen-
dant l’äge du renne. Gaf. 27, 2 a.
0 L’Äntbropologie, 1895, Gaf. 4,2; ferner: Piette, L’Ärt pendant Tage du renne, Caf. 43, 2b;
ferner: Kübn, Malerei der Eiszeit, 3. Äufl., S. 25.
7 L’Äntbropologie, 1907, S.10; ferner: Revue mensuelle de l’Ecole d’Äntbropologie, 1893, S. 186;
ferner: Piette, L’art pendant Tage du renne, Caf. 7, 1; ferner: Roernes, tlrgefd)id)te der bildenden
Kunft, 1916, 2. Äufl., S. 119.

Der Cicerone, XVI. Jat)rg., Fjeft 8

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