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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Boll, Walter: Eine Ausstellung mittelalterlicher Plastik in Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0838

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Eine Äusftellung mittelalterlicher Plaftik
tn S + Von Walter boll / Mit
111 OlUUyül L fünf Abbildungen auf drei Tafeln

Das Äuftaucßen von guter Plaftik im Handel ift in den letjten Jahren immer ver-
einzelter geworden. Diefe Catfache hat ißren guten Grund in der fortfcßreitenden
Inventarißerung unferer Länder und in der verfcßärften Äufficßt, die von den
Kird)enbel)örden bei Verkauf von kirchlichen Kunftwerken geübt wird. Ändererfeits
find die hervorragenden Stücke des Handels nach und nach in den Befitj der ftaat-
licßen und ftädtifchen Kunftfammlungen gelangt, oder aber in eine der großen privaten
Plaftikfammlungen, aus denen fie als einzelne Stücke fo leicht nicht wieder ßeraus-
kommen. Äucß die ftarke Nachfrage nach Kunftgegenftänden in der 3^it der Geld-
entwertung hat dazu beigetragen, daß felbft die entlegenften Gebiete unferes Landes
nach Kunftwerken fyftematifcß abgefueßt worden find.
Crotj diefer Verhältniffe haben die beiden Firmen Äntiquitätenhaus Prinzenbau
-und Cßeodor Löwenthal in Stuttgart eine kleine Äusftellung mittelalterlicher Plaftik
in den Räumen des Prinzenbaus in Stuttgart zufammengebraeßt, die einige bemerkens-
werte Stücke aufweifen kann. Das Hauptgewicht der Äusftellung liegt auf den Stük-
ken des 15. Jahrhunderts. Äus früherer 3ßit ift nur eine thronende Mutter Gottes
(F). 0,66 m), franzöfifcß, aus der erften Hälfte des 14. Jahrhunderts zu erwähnen von
ftarkem provinziellen Einfcßlag, bei der man zunächft nicht an franzöfifche Herkunft
denken möchte, wenn die Provenienz nicht gefiebert wäre. Intereffant ift das in diefer
_3eit nicht allzu häufige Motiv der Mutter, die dem Kind die Bruft reicht. In das
15. Jahrhundert leitet über die Statue einer Maria, wohl aus einer Kreuzigungsgruppe
(H- 1,00 m), die aus dem erften Viertel des 15. Jahrhunderts ftammen dürfte (Äbb. 2).
Die Gewandbehandlung weift zunächft in die Richtung des Meifters von Eriskirch, noch
näher verwandt erfcheinen die beiden Bildwerke von Bronnweiler, eine Maria] von
einer Heimfucßungsgruppe und zwei trauernde Frauen in der Ältertümerfammlung in
Stuttgart, doch ift dort die Faltengebung bereits entwickelter und fortgefchrittener. Ärn
nächften ftehen ihr drei trauernde Frauen in Crocßtelfingen (Hohenzollern)1 und eine
weitere von dort in Schloß Licßtenftein2, fowie einige den Crocßtelfingern verwandte
Figuren in Veßringendorf, von denen gleichfalls eine trauernde in die Sammlung Lipp-
mann nach Berlin gekommen ift3. Unfere Figur zeigt allernächfte Beziehungen zu dem
Crocßtelfinger Meifter fowoßl in der Bildung des Geficßtes wie in der Änordnung der
Hängefalten. Allerdings find die Faltengeßänge an den beiden Unterarmen wefentlicß
kräftiger und nicht fo maniriftifcß und flächig ausgebildet wie bei jenen; wir könnten
es mit einem reifen ÜJerk des Crocßtelfinger Meifters zu tun haben. Das köftlicßfte
Stück der Äusftellung ift eine fteßende Mutter Gottes mit Kind (Äbb. 1). Die Rand-
figur mißt 1,35 m und befteßt aus Lindenßolz mit zum großen Ceil erhaltener Faffung.
Maria fteßt mit nach links ausgebogener Höfte, auf dem linken Ärm das halbnackte
Kind, das Szepter in der abwärts geneigten rechten Hand und die eßemals vorhandene
Krone fehlen. Mit einem leicßten, unfcßuldsvollen Lächeln folgt die Mutter dem Blick
ißres Kindes, das fieß aufgerießtet ßat und, den Finger der linken Hand an das Kinn
gelegt, ein Ereignis in der Näße beobachtet, während es fiel) mit feinem rechten Ärm-
chen an dem Kopftuch der Mutter ßält. Ißrem Stil nach feßeint die Statue, die aus
dem Oberfcßwäbifcßen ftammen foll, eßer in den Stilkreis des öftlicßen Bayern, in das

1 Baum, Deutfcfye Bildwerke des 10.—18. Jahrhunderts, Stuttgart 1917, Seite 32; (XIaldenfpul,
Die gotifdje Holzplaßik des Laucbertals in Hohenzollern, Cübingen 1923, Äbb. 15/16.
2 Baum, Gotifcbe Bildwerke Schwabens, Äugsburg 1921, Seite 71.
3 Citaldenfpul, Äbb. 17.

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