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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Boll, Walter: Stuttgarter Kunstsommer
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0902

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Als ttlegbereiter der neuen deutfeßen Kunft pnd der Ausf ellung zwei Nicßtdeutfche vorangeftellt,
Ferdinand Jodler mit dem Rückzug von Marignano und Mund) mit einem cßarakterififcßen
Fjerrenbildnis von 1923. Es fcßeint, daß mit Abpcßt der Einfuß von Frankreich, der meßr oder
weniger für die meiften Künftler von großer Bedeutung war, zurückgedrängt wurde, um die Eigen-
art des Germaniftiben in der Bewegung fcßärfer zu betonen, önter diefem Gepcßtspunkt find
jedenfalls einige der bekannteren deutfeßen Künftler in der Ausftelluug nicht zugezogen worden,
man denke an ÜJeisgerber, Nauen, Purrmann, Großmann u. a.
Die früßverftorbene Paula Moderfoßn ift mit einigen bekannten Bildern an den Änfang gefeilt.
Es fcßließen fid) die unter pcß wieder in Beziehung febenden Fjeckel, E. L. Kirchner, Pechfein,
Schmidt-Rottluff und Nolde an, die, Kirchner ausgenommen, einen auffallenden Mangel an for-
malem Können gemeinfam haben, aber dafür um fo mehr durch ihre Farbigkeit entfcßädigen. Von
Fjeckel bleiben einige in ihrem Kolorismus etwas zurückhaltende Landfcßaften in Erinnerung; die
gut ausgewäßlten Bilder von E. L. Kirchner, deffen ausgezeichnetes Bild des abfeigenden Fjirten
befonders auffällt, ßinterlaffen einen färkeren Eindruck. Pechfein ift mit einem Bildnis von
1908 und mit mehreren mittelmäßigen Bildern der letzten Jahre vertreten, denen pcß Schmidt-
Rottluff mit einigen guten Stücken farbig überlegen zeigt. Von Nolde befriedigt nur tüeniges, ob-
wohl gerade er durch eine größere Kollektion von 22 Gemälden ausgezeichnet if. Ißm gegenüber
gibt man fch gerne den Bildern Kokofcßkas hin, deffen prachtvolles kultiviertes Kolorit immer
aufs Neue entzückt; der groß gefeßene, noch impreffioniftifcb gegebene Fjafen von Stockholm, die
Frau mit dem Papagei und das küßle abgeklärte Selbfbildnis find ßervorzußeben, während die
fächpfcße Landfcßaft etwas verworren if. Des 75jäßrigen Roßlfs neuefte Gemälde von 1924, z. C.
altteftamentlicßen und religiöfen Inhalts, erfcßeinen in ißrer fanft ßingeßauchten Buntheit wie ein
langfames Verglühen. Bedeutendes wäre von den beiden Gefallenen Franz Marc und Auguf
Macke zu erhoffen gewefen. Marcs künflerifcße Entwicklung wird in mehreren bezeicßneten
Stücken gut verdeutlicht; dahingegen werden die wenigen unfcßeinbaren Bilder von Macke dem
Können und der Leiftung diefes Künftlers, deffen ttlerk noch viel zu wenig bekannt if, bei weitem
nicßt gerecht. In einem Raum für fch find vereinigt Campendonk mit einigen feiner fympatßi-
fcßeren Arbeiten und Klee, der das Vermittlungsglied zu Feininger und Schlemmer bildet, die den
abfrakten Konftruktivismus des Qleimarer Baußaufes verkörpern. Man ift übrigens dafür dankbar,
daß diefe Cüerke im Rahmen der Husftellung nicht allzu laut mitfprecben. Einen farken Eindruck
hinterläßt Karl Fjofer, hinter deffen in edler, gedämpfter Conigkeit vorgetragenen Gemälden eine
verhaltene Sinnlichkeit fteßt. Der begabte Ewald wirkt in dem ausgefeilten, nicht günfigen Cryp-
ticßon in der Farbe zu matt; Otto Müller bleibt fleh fets gleich. Karl Cafpar kann man nicht
zu den großen Begabungen rechnen; fympatßifcher find die Landfcßaften von Marie Cafpar-Filfer.
Von Felixmüller if das Selbfbildnis mit Soßn und das Bildnis feines Vaters ßervorzußeben.
Mit Kanoldt, Beckmann und Dix find die Hauptvertreter der jüngfen Richtung genannt, rein
äußerlich cßarakterifert durch eine gewiffe Fjärte und Schärfe der 3eicßnung und eine glafige un-
vermittelte Farbigkeit. Kanoldt, über den Kubismus kommend, if leider nur mit drei feiner in
Kompoftionen und Kolorit gleich bedeutenden Stilleben und Landfcßaften vertreten. Beckmann,
von dem das Selbfbildnis und einige Bilder aus den Jahren 1920/23 gezeigt werden, wirkt als
künflerifcße Erfcßeinung neben den zu „gewollten“ Bildern des Dix, von dem man in den lebten
Jahren beffere Arbeiten gefeßen hat, wefentlicß abgeklärter und imponierender. Nicßt erficßtlicß
if, warum Biffier oder der in Abhängigkeit von E. L. Kirchner fehende Bauknecßt als führende
Perfönlicßkeiten des deutfeßen Expreffionismus in die Ausfellung aufgenommen wurden, während
man außer den bereits Erwähnten noch andere bekannte Namen, z. B. Eberz, Menfe, Davring-
ßaufen, Scßrimpf, vermißt.
Bei der Plafik find die Grenzen wefentlicß weiter gezogen worden. Das beweifen allein feßon
die Namen Kolbe und Albiker. Leßmbruck wird in drei guten Stücken vorgefüßrt, auch Fjaller,
Fjuf und de Fiori kommen in entfpreeßenden Arbeiten gut zu öüort. tlnter den Jüngeren hätte
als färkfte Begabung Edwin Scßarff woßl noch eine färkere Hervorhebung verdient; nicßt ver-
geffen wurde Renee Sintenis, Knappe und Edzard. önbegreifieß ift, daß unreife Arbeiten, wie
diejenigen Scherers, den Cüerken führender Künftler an die Seite gefeilt wurden; das Bild der
Husftellung mit ißrer guten und überpcßtlicßen Dispoption ift dadurch nur verunklärt worden.
Die Ende Juli bereits gefcßloffene Klerkbundausfellung „Die Form“, die im Fjandelsßof
ßattfand, if von der württembergifeßen Arbeitsgemeinfcßaft des deutfeßen tüerkbunds veranfaltet
worden, Das Leitmotiv, „Die Form“, beweift, daß durch Fjervorßebung diefer wießtigften Grund-
lage ein Kampf gegen die Verwaßrlofung des Kernes geführt werden foll. Qm das Programm
durchführen zu können, d. ß. ÜFert, Bedeutung und zuleßt Schönheit der Form ßerauszuftellen,

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