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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Basler, Adolphe: Henri Matisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1041

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bringen, ohne 3wifd)entöne einzuführen. So kommen unvergleichliche 3ufammenftel-
lungen zuftande, wobei Silber- und Kadmiumweiß, Okergelb, venezianifches Rot, Sinn-
ober, Smaragdgrün, Ultramarin, Elfenbeinfd)warz und Rotbraun wundervoll aufein-
ander abgeftimmt find. Eins überrafd)t bei Matiffe: die Expanfionskraft, die er der
Form gibt. Mit welcher Klarheit er eine Linie zeichnet, eine Arabeske definiert! Ob
es fid) um eine 3eid)nung auf einem Blatt Papier oder eine feiner zufammengedrängten
Kompofitionen auf Leinwand handelt, immer find Vollkommenheit und Größe in den
Maßen für ißn charakteriftifd).
Ändere Maler aus der Generation der „Fauves“ kommen auf das Staffeleigemälde
zurück, während Matiffe immer der Entdecker neuer Formen und Betrachtungsweifen
bleibt, weil feine Sehkraft nie erlahmt. Er nimmt fiel) alle Freiheiten, um das Leben
darzuftellen: ebenfo fubjektive wie natürliche Umbildungen. Aber das Natürliche feines
Latentes entfdmldigt alle Freiheiten. Er hat einen Gemäldetypus gefdjaffen, bei dem
der Dekorateur den Staffeleimaler ergänzt. Seine überaus logifchen Vereinfachungen
erftreben nur eine rhythmifche Äuffaffung des Gemäldes, wobei die leicht modellierten
Formen wirkungsvoll unterftü^t werden durch die Schönheit der 3eid)nung und die
erweiterte Größe in den Maßen. Oft erfcßeint ein Gemälde von Matiffe wie eine
Pinfelzeicßnung, fo fein und raffiniert ift es angelegt.
Nach langem Laßen hat Matiffe in feiner Manier eine Vollkommenheit erreicht, die
noch vor 15 Jahren ein Hilfsmittel war zur Löfung der verfd)iedenen Probleme, die fid)
den jungen Matern darboten. Für den Meifter ift fie heute das vollkommenfte und paffendfte
t£Ierkzeug, deffen nur er fid) bedienen kann. Seine alten Schüler machen ihm den Vorwurf,
er habe die Herbheit aufgegeben, die feine älteren Klerke d)arakterifierte. In der Lat zeigen
feine Gemälde feit 1916 eine größere 3artheit; fie entzücken durch ihren mufikalifd)en Gehalt
und fd)einen mehr das Äuge ergötzen, als den Geift erregen zu füllen. So ftrebt der
Künftler auf der Höhe feines Schaffens nach größerer Klarheit und Einfachheit, — um
nicht zu fagen Klaffizismus — ein keineswegs übertriebener Ausdruck feiner letzten
Schaffensperiode. Denn Matiffe ift ein Romane, der Gefallen findet an der Ordnung
und den überfd)wenglid)en Rhythmen, wozu ihn die Mittelmeerküfte, fein Lieblings-
aufenthalt feit einigen Jahren, begeiftert. Und fein glücklicher Materblick findet im
Leben fo viel beraufchende Freude, fo viel Schönheit und Klärme. Man wird von
feinen Odalisken nicht dasfelbe fagen wie Lheophile Gautier von den Odalisken von
Ingres: daß ihre Fußfoßlen nur die Smyrnateppiche und Älabafterftufen der Harems-
bäder betraten. Aber man wird fie betrachten als Kiefen von beraufcßender Anmut
mit lieblichen und nicht minder idealen Formen, Kiefen, die das Leben atmen und
Entzücken verbreiten, wie feine Blumen, feine Innenräume mit dem Blick auf das blaue
Mittelmeer, Bilder, die er in irgendeinem Palaßhotel von Nizza malt. Nicht Größe und
Majeftät, fondern Vergnügen und raffinierteren Luxus verkündet diefe Malerei mit
einem unfehlbaren Gefd)mack. Daher ihr angenehmer, verftändlicher und zugleich mo-
derner Charakter. Sie bewirkt keine große Aufregung, fondern bezaubert den Blick
und hält den Geift feft durch ihre fd)önen Formen.
Henri Matiffe ift ein großer Mater, ein Meifter, aber in einer fpeziellen Gattung.
Erßnderifch veranlagt, verftand er es in feiner Reifezeit, die Härten einer altgewordenen
Äftßetik dem Natürlichen zu opfern, das er in feiner Malerei hervorzuheben bemüht
ift. Später werden ihm die Kunfthiftoriker einen ebenfo ehrenvollen Plaß neben einem
Renoir gewähren wie einem Lancret und Pater neben Klatteau. Sein großes Verdienft
ift es, feine Kunft mit feinem Latent in Einklang gebracht, zu haben. Überf. K.
Die Genehmigung zur Reproduktion der Bilder von Matiffe erteilte in liebenswürdiger «Xleife
die Galerie Bernheim jeune, Paris.

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