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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 1
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Tietze, Hans: Die Galerie des 19. Jahrhunderts in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0051
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vederes gehören — in Erscheinung tritt. Als Grundlage die österreichische
Barockkunst, dieser unser vzahrhaft nationaler Stil, in dem die bodenständige
Begabung bisher ihren reinsten Ausdruck gefunden hat und der mit hundert
Einwirkungen die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts speist; dann diese
Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, deren breite Fülle und Gesundheit sich
aus ihrem Herauswachsen aus einer großen und kräftigen Tradition erklärt,
deren Eigenart aber erst aus ihrer mannigfachen Wechselwirkung mit den
gleichzeitigen Strömungen im übrigen Europa erkennbar wird; endlich von
dieser abgeschlossenen, wenn gleich vielfach in unser Dasein hineinwirkenden
Kunst in ihrer Andersartigkeit abstechend die Kunst der Gegenwart, die nicht
auf dem Wege irgendwelcher historisierender Einstellung, sondern in unmittel-
barem Erleben aufgenommen werden will. Diese ununterbrochen und unauf-
hörlich flutende Lebendigkeit museal zu erfassen und darzustellen, ist in einem
gewissen Maße eine Contradictio in adjecto und ich bekenne, daß mir das
Problem des Zeitmuseums mit seinem bekannten Konflikt zwischen zu früh
und zu spät, noch mehr mit seinem Widerspruch zwischen dem Lebensrecht
des Dargebotenen und der musealen Perspektive seiner Darbietung bisher
nicht restlos gelöst zu sein scheint. Von diesem Standpunkt aus muß ich es
eigentlich begrüßen, daß die österreichische Galerie erst jetzt, nach Abschluß
ihrer Arbeit an den beiden anderen Teilen ihres Programms, an diese kitz-
lichste Partie ihres Programms herantreten wird; bis der an das Untere Bel-
vedere anstoßende „Ludwigstrakt“, der heute noch allerhand Mietwohnungen
und Garagen enthält, architektonisch adaptiert ist, wird das überall so aktuell
empfundene Problem größerer Klärung entgegengereift sein.
Indessen schließt sich die Galerie des neunzehnten Jahrhunderts dem im
Frühling des vorigen Jahres eröffneten Barockmuseum an; es füllt das Obere
Belvedere, das somit nach fast vierzigjähriger Unterbrechung zu der musealen
Verwendung zurückkehrt, der es fast ein Jahrhundert gedient hatte; in den
gleichen Räumen befand sich bis zur Eröffnung des kunsthistorischen Hof-
museums jene berühmte Belvederegalerie, deren Auswanderung aus den
prächtigen Interieurs des von J. L. von Hildebrandt für den Prinzen Eugen ge-
bauten Sommerschlosses die älteren Kunstfreunde immer nachdrücklich be-
klagt haben. Ob diese Räume auch für die Kunstwerke des neunzehnten Jahr-
hunderts den gleich günstigen Rahmen bilden werden wie einst für die alten
Meisterwerke der kaiserlichen Galerie, muß sich erst zeigen; denn zunächst
waren die schweren Eingriffe zu entfernen, die die Adaptierung des Schlosses
als Wohnsitz für weiland Erzherzog Franz Ferdinand notwendig gemacht
hatten; sodann galt es, die Räume so zu gestalten, daß jeder von ihnen mit den
Kunstwerken, die er enthält, eine in sich geschlossene künstlerische Einheit
darstelle.
Es ist dies das Prinzip, das bei der Schaffung des Barockmuseums im
Unteren Belvedere mit so großem Erfolge angewendet wurde und dieses zu
einem völlig neuen Museumstyp gemacht hat. Ein bekannter Berliner Kunst-
schriftsteller hat in seinerZeitschrift darüber geschrieben, das Untere Belvedere
wäre, wenn es auch noch Möbel aus der Zeit enthielte, ein ideales Schloß-
museum; er hat damit ganz genau das getroffen, was bei dieser Schöpfung
nicht gemacht werden wollte. Das Barockmuseum will weder der wissen-
schaftlichen Systematik dienen noch auch ein einstiges Schloßinterieur an-
deuten, sondern Architektur mit Skulptur und Malerei aus dem Geist des
Barock und aus dem unserer Zeit zum Zusammenwirken verbinden, also kein
Schloßmuseum im Sinne dieses nun geläufig gewordenen Typs sein, vielmehr
gewissermaßen die ideale Sammlung eines modernen Kunstfreundes des Barocks.

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