R UNDSCHAU
Lovis Corinth f
Im holländischen Zandvoort ist am
i8.Juli Corinth an den Folgen einer Lungen-
entzündung gestorben und drei Tage später
hat man ihn an seinem siebenundsechzig-
sten Geburtstag in Berlin beigesetzt. Die
Trauer um den Tod dieses Mannes ist in
Deutschland allgemein. Hätte man dem
Lebenden etwa vor zehn Jahren nur den
zwanzigsten Teil der Lobpreisung gewid-
met, die jetzt dem Toten zuteil geworden
ist, der alte Lovis würde vielleicht die
schwere Last der letzten Jahre leichter ge-
tragen haben. Denn so rein und in sich
selbst verankert das Bild dieses Mannes
auch immer vor uns stand, er hat dennoch
schwer am Leben getragen und oftmals
mit seiner Zeit gehadert, die weniger wert-
vollen Tagesgrößen Weihrauch darbrachte
und erst spät die Bedeutung dieses Mei-
sters erkannt hat. Der hatte die Schwelle
der Fünfzig längst hinter sich gelassen, als
seinem Werk die erste große Gesamtschau
in der alten Sezession zugleich mit dem
Erscheinen der ersten grundlegenden Mo-
nographie bei Velhagen und Klasing zuteil
wurde. Und es ist für die Einstellung der
öffentlichen Meinung vielsagend genug,
daß nahezu zwölf Jahre vergehen mußten,
bis dieses Buch zu einer zweiten Auflage
kam. Damals hat Justi dem fünfundsech-
zigjährigen im Kronprinzenpalais eine gro-
ße, bedeutsame, wenn auch leider in man-
cher Hinsicht unvollkommene Ausstellung
bereitet, ein Verdienst, das nicht vergessen
werden darf, zumal sie sogar für einen
Teil der öffentlichen Berliner Kunstkriti-
ker fast zu einer sogenannten „Entdek-
kung“ Corinths wurde. Spät genug ist diese
Entdeckung wahrlich erfolgt, und wenn
heute selbst größere deutsche Provinzmu-
seen noch keine oder nur eine meist unzu-
reichende Repräsentation der Werke dieses
Künstlers besitzen, so spricht das ange-
sichts der Tatsache, daß mit Corinth viel-
leicht die stärkste deutsche Künstlerpersön-
lichkeit seit Grünewald dahingegangen ist,
geradezu Bände für das Unvermögen der
Deutschen, die wahre Größe ihrer schöp-
ferischen Geister noch bei Lebzeiten zu
erkennen.
Unsere Zeitschrift darf aber das Verdienst
für sich in Anspruch nehmen, frühzeitig
und immer wieder auf Corinth hingewiesen
zu haben und schon aus diesem Grunde
erübrigt sich für uns angesichts des Todes
unseres geliebten Meisters die Pflicht, ad
hoc noch einmal all das zusammenzufas-
sen, was der Schreiber dieser Zeilen in der
oben erwähnten Monographie und in seiner
Einleitung zu dem erst vor nicht allzu lan-
ger Zeit bei Arnold in Dresden erschiene-
nen Band über die Zeichnungen von Lovis
Corinth aus intimster Kenntnis des Men-
schen und seiner Werke heraus als seine
beste Überzeugung eingehend genug be-
gründet hat. Auch auf den erst im Eröff-
nungsheft dieses Jahrgangs des Cicerone
veröffentlichten Aufsatz über die letzten
Landschaften des Malers darf an dieser
Stelle verwiesen werden. — Wir wissen, was
Lovis Corinth nicht nur für seine Zeit be-
deutet hat, mehr noch wie gerade sein
Werk auch riesengroß über der Zukunft
steht und heute, wo die sonst nimmer mü-
den Augen der Schlaf der Ewigkeit be-
rührt hat, darf es noch einmal ausge-
sprochen werden, daß mit ihm einer der
Besten seines germanischen Stammes da-
hingegangen ist, ein zweiter Rembrandt,
dessen Licht noch über vielen Generatio-
nen und immer reiner erstrahlen wird, je
mehr die Zeit alle Schlacken des Alltags
von seinem Werke entfernt, das seine Zeit-
genossen so selten seiner inneren Größe
nach erkannt haben. Diese verwechselten
oft wirkliche Inbrunst mit roher Kraft, -ohne
zu ahnen, daß hier einer der ganz Selte-
nen seine Gesichte auf die Leinwand malte,
der seinen Gott im Herzen trug, dem er
immer näher kam, je mehr die Kräfte des
Körpers erschlafften und dieser nur noch
Gefäß für die Weiten eines im Letzten re-
ligiösen Geistes wurde.
In den Etappen dieses wahrhaft grandio-
sen Werkes stehen zwar die Epochen des
Künstlerlebens deutlich genug vor Augen
und vielen, die Corinth liebgewonnen ha-
ben, mögen zuerst den Menschen in ihr
Herz geschlossen haben, bevor sich ihnen
die oft tragische Größe seiner Werke offen-
barte. Über die sind sich immer nur wenige
im klaren gewesen. Aber der Mensch in
seiner unbedingten Geradheit und Ehrlich-
keit hat noch jeden bezwungen, der das
Glück hatte, ihm innerlich nahezustehen.
Um diesen Menschen hätten andere Zeiten
einen Tempel gebaut, weil solch ein großes
reines Kind in unserem Jahrhundert sonst
kaum mehr zu finden war. Der liebte seinen
Homer und seine Bibel und das wundervolle
breite Lachen dieses Mundes hatte etwas
von dionysischer Urkraft, die ansteckend
wirkte. Das war die eine Seite. Die andere,
die der intuitiven Meditation erlag, hat den
Künstler — zumal in seinem letzten Le-
bensabschnitt — dem Geheimnis der Schöp-
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Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 15
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Lovis Corinth f
Im holländischen Zandvoort ist am
i8.Juli Corinth an den Folgen einer Lungen-
entzündung gestorben und drei Tage später
hat man ihn an seinem siebenundsechzig-
sten Geburtstag in Berlin beigesetzt. Die
Trauer um den Tod dieses Mannes ist in
Deutschland allgemein. Hätte man dem
Lebenden etwa vor zehn Jahren nur den
zwanzigsten Teil der Lobpreisung gewid-
met, die jetzt dem Toten zuteil geworden
ist, der alte Lovis würde vielleicht die
schwere Last der letzten Jahre leichter ge-
tragen haben. Denn so rein und in sich
selbst verankert das Bild dieses Mannes
auch immer vor uns stand, er hat dennoch
schwer am Leben getragen und oftmals
mit seiner Zeit gehadert, die weniger wert-
vollen Tagesgrößen Weihrauch darbrachte
und erst spät die Bedeutung dieses Mei-
sters erkannt hat. Der hatte die Schwelle
der Fünfzig längst hinter sich gelassen, als
seinem Werk die erste große Gesamtschau
in der alten Sezession zugleich mit dem
Erscheinen der ersten grundlegenden Mo-
nographie bei Velhagen und Klasing zuteil
wurde. Und es ist für die Einstellung der
öffentlichen Meinung vielsagend genug,
daß nahezu zwölf Jahre vergehen mußten,
bis dieses Buch zu einer zweiten Auflage
kam. Damals hat Justi dem fünfundsech-
zigjährigen im Kronprinzenpalais eine gro-
ße, bedeutsame, wenn auch leider in man-
cher Hinsicht unvollkommene Ausstellung
bereitet, ein Verdienst, das nicht vergessen
werden darf, zumal sie sogar für einen
Teil der öffentlichen Berliner Kunstkriti-
ker fast zu einer sogenannten „Entdek-
kung“ Corinths wurde. Spät genug ist diese
Entdeckung wahrlich erfolgt, und wenn
heute selbst größere deutsche Provinzmu-
seen noch keine oder nur eine meist unzu-
reichende Repräsentation der Werke dieses
Künstlers besitzen, so spricht das ange-
sichts der Tatsache, daß mit Corinth viel-
leicht die stärkste deutsche Künstlerpersön-
lichkeit seit Grünewald dahingegangen ist,
geradezu Bände für das Unvermögen der
Deutschen, die wahre Größe ihrer schöp-
ferischen Geister noch bei Lebzeiten zu
erkennen.
Unsere Zeitschrift darf aber das Verdienst
für sich in Anspruch nehmen, frühzeitig
und immer wieder auf Corinth hingewiesen
zu haben und schon aus diesem Grunde
erübrigt sich für uns angesichts des Todes
unseres geliebten Meisters die Pflicht, ad
hoc noch einmal all das zusammenzufas-
sen, was der Schreiber dieser Zeilen in der
oben erwähnten Monographie und in seiner
Einleitung zu dem erst vor nicht allzu lan-
ger Zeit bei Arnold in Dresden erschiene-
nen Band über die Zeichnungen von Lovis
Corinth aus intimster Kenntnis des Men-
schen und seiner Werke heraus als seine
beste Überzeugung eingehend genug be-
gründet hat. Auch auf den erst im Eröff-
nungsheft dieses Jahrgangs des Cicerone
veröffentlichten Aufsatz über die letzten
Landschaften des Malers darf an dieser
Stelle verwiesen werden. — Wir wissen, was
Lovis Corinth nicht nur für seine Zeit be-
deutet hat, mehr noch wie gerade sein
Werk auch riesengroß über der Zukunft
steht und heute, wo die sonst nimmer mü-
den Augen der Schlaf der Ewigkeit be-
rührt hat, darf es noch einmal ausge-
sprochen werden, daß mit ihm einer der
Besten seines germanischen Stammes da-
hingegangen ist, ein zweiter Rembrandt,
dessen Licht noch über vielen Generatio-
nen und immer reiner erstrahlen wird, je
mehr die Zeit alle Schlacken des Alltags
von seinem Werke entfernt, das seine Zeit-
genossen so selten seiner inneren Größe
nach erkannt haben. Diese verwechselten
oft wirkliche Inbrunst mit roher Kraft, -ohne
zu ahnen, daß hier einer der ganz Selte-
nen seine Gesichte auf die Leinwand malte,
der seinen Gott im Herzen trug, dem er
immer näher kam, je mehr die Kräfte des
Körpers erschlafften und dieser nur noch
Gefäß für die Weiten eines im Letzten re-
ligiösen Geistes wurde.
In den Etappen dieses wahrhaft grandio-
sen Werkes stehen zwar die Epochen des
Künstlerlebens deutlich genug vor Augen
und vielen, die Corinth liebgewonnen ha-
ben, mögen zuerst den Menschen in ihr
Herz geschlossen haben, bevor sich ihnen
die oft tragische Größe seiner Werke offen-
barte. Über die sind sich immer nur wenige
im klaren gewesen. Aber der Mensch in
seiner unbedingten Geradheit und Ehrlich-
keit hat noch jeden bezwungen, der das
Glück hatte, ihm innerlich nahezustehen.
Um diesen Menschen hätten andere Zeiten
einen Tempel gebaut, weil solch ein großes
reines Kind in unserem Jahrhundert sonst
kaum mehr zu finden war. Der liebte seinen
Homer und seine Bibel und das wundervolle
breite Lachen dieses Mundes hatte etwas
von dionysischer Urkraft, die ansteckend
wirkte. Das war die eine Seite. Die andere,
die der intuitiven Meditation erlag, hat den
Künstler — zumal in seinem letzten Le-
bensabschnitt — dem Geheimnis der Schöp-
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Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 15
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