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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 2
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Biermann, Georg: Hoetgers Denkmal der Arbeit: ein Brief an den Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0079
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HOETGERS DENKMAE DER ARBEIT
EIN BRIEF AN DEN KÜNSTLER
VON GEORG BIERMANN
Lieber Freund! Zum zweitenmal habe ich in diesen Wintertagen, kurz bevor das alte
Jahr zur Neige ging, Dein letztes Werk gesehen, Dein Symbol jener Enterbten, über
die einmal ein französischer Dichter unter dem Titel »Les miserables« schrieb. Der
erschütternde Eindruck, der bereits vor Monaten in mir zurückblieb, hat sich diesmal
noch verstärkt. Das ist, soweit ich mich im täglich neuen und immer wieder neuen
Erleben der Kunst erforsche, für mich ein Beweis, daß die von Deinen Werken er-
regte Spannung Ungewöhnliches verschließt, daß es sich hier um letzte Dinge handeln
muß, die meinetwegen selbst außerhalb unserer gegenwärtigen Zeit liegen könnten.
Ich will nicht sprechen von der Aufstellung an der Vorder-und Rückseite jener guten,
aber auch nüchternen Fassade eines Baues, der restlos anständig ist und bei dem ur-
sprünglich Deine Figuren im Entwurf nicht mitvorgesehen waren, denn sonst hätte
der Architekt wohl von vornherein eine engere Verbindung zwischen Figur und Fläche
ins Auge gefaßt, vielleicht sogar die Architektur im Hinblick auf die Funktion der
Plastik wesentlich anders gestaltet. Genug, daß die Figuren da oben stehen, daß die
Menschen, die tagein, tagaus die lange Straße hinauf- und hinabwandern, plötzlich an
dieser Stelle den Atem anhalten und dem Niclitalltäglichen begegnen.
Nicht das Volkshaus der Bremer Gewerkschaft ist irgendwie irritierend. Im Gegenteil,
wir vergessen alle sozialen Gegensätze, wenn es sich um allgemein menschliche und
vor allem künstlerische Dinge handelt. Aber vor Deinem plastischen Symbol da oben
überkommt es einen mit fast magischer Gewalt, und es ist nicht leicht, den Blick in
den Alltag zurückzuzwingen und von dieser Begegnung zu lösen. Später reflektierend,
suche ich nach historischen Stützpunkten und überdenke alle Epochen, in denen Plastik
schlechthin bestimmend war. Vielleicht ist da in Deinem Hirn irgendein Bild zurück-

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