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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 20
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0619
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RUNDSCHAU

FRANKFURT a. M.
Axisstellungen der Neuerwerbungen
Frankfurt bietet reiche Ernte emsiger Sammel-
tätigkeit.
Das Liebig-Haus, der Städel und das Kunstge-
werbemuseum entbreiten Neuerwerbungen, unter
denen sich die auf sie jetzt entfallenen Schätze der
Sigmaringer Sammlung befinden.
Die städtische Skulpturensammlung im Liebig-
Haus zeigt einen neuen Kruzifixus aus der Mitte
des 11. Jahrhunderts in Holz, der bei aller Herbig-
keit feine Naturbeobachtung aufweist. In einer
mittelrheinischen »Maria mit Kind« aus dem n.
Jahrhundert wurde ein kunsthistorisch wichtiges
Stück gewonnen, das zwischen der Essener und
Paderborner Madonna steht und die hieratische
Feierlichkeit der Komposition mit den beiden hin-
lereinandergesetzten, frontalen Figuren durch Kon-
traste der Armstellung und malerische Farbigkeit
belebt. Geschlossene Ruhe der Form bei reichen
Bewegungsmotiven des Gewandes bietet eine »Ma-
ria mit Kind« aus dem 14- Jahrhundert in hoheits-
voll antikischer Kopfhaltung mit entsprechend
stilisierter Frisur. Sie gehört in den Kreis Pisä-
nischer Plastik wie auch die neben ihr stehende
Marmorgruppe »Engel und Stifter« des Florenti-
ners Tino da Camaino, von dem das Liebig-IIaus
schon eine Gruppe besitzt. Das neue Werk weist
wieder eine der seltenen Plastiken vor, die wegen
ihrer geballten, vereinfachten Zusammenfassung
der Formen richtunggebend wurden. Aus der Flo-
rentiner Gegend stammt außerdem ein lebensgro-
ßer »Johannes der Täufer« in alter Fassung (Pisto-
ja um i/ioo) mit imposantem Gesichtsausdruck.
Aus der Sigmaringer Sammlung: eine Bischofs-
figur und zwei Heilige in der Art des Hans Seyffer
von Heilbronn, eine Lindenholzgruppe der heili-
gen drei Könige aus Schwäbisch-ITall von kühner
Stilisierung, eine »Kreuzabnahme« mit einer indi-
viduell charakterisierten Frauengruppe von Hans
Geiler, eine »Pieta« aus Rovereto, die bei aller Leb-
haftigkeit der Kurven voll klarer Bestimmtheit ist
und eine »Beweinung« des Mannheimer Paul Egell,
mit sehr persönlicher Auffassung im Geistigen und
Technischen.
Zwei Vitrinen mit Kleinplastiken. Jedes Stück eine
Welt für sich, eine Augenfreude. Köstliche Arbei-
ten in Stein und Holz, vergoldeter Bronze und Sil-
ber, Terrakotta, Elfenbein und Perlmutter. Beson-
ders erwähnenswert eine vergoldete »Maria mit
Kind« aus der lothringischen Schule um 1200, eine
Heilige vom Oberweseler Hochaltar um i33o, die
stehende burgundische Marmorfigur aus der Samm-
lung Noll und eine »Alte Frau« von Hans Wyditz
um i5io.
Man möchte wünschen, daß bald ein neuer Mu-
seumsraum geschaffen wird, um gebührenden
Platz für alle Neuerwerbungen zu geben, die un-

ter Swarzenski und dem Grafen Solms zusammen-
gebracht wurden.
Der Städel hat von den herrlichen Bildern der
Sigmaringer Sammlung, die wir im »Cicerone«
eingehend besprachen, folgende Werke seinem Be-
stand einverleiben können:
»Die Krönung Maria« um i35o, Werk eines anony-
men, mitteldeutschen Meisters; Martin Schongauer:
»Geburt Christi«; Meister des Bartholomäusaltares:
»Heilige Familie«; Meister des Marienlebens:
Zwei Darstellungen »aus der Legende der heiligen
Katharina«; »Kreuzaufrichtung«, dem jungen Dü-
rer nahestehend; Hausbuchmeister: »Auferstehung
Christi«; Strigel: Vier Tafeln eines Altares; »Kreu-
zigung« aus dem Regensburger Kunstkreis; Alt-
dorfer: »Anbetung der heiligen drei Könige«; Hans
Holbein d. Ä.: Bildnis des Augsburger Herrn
Weiß; Kinderbildnis eines Salzburger Meisters von
i5i6.
Gemeinsam mit diesen Werken sind im Goethe-
Saal der Galerie eine Anzahl von anderen Neuer-
werbungen aus verschiedenen Gebieten der Malerei
ausgestellt. Das früheste Werk stammt aus der ita-
lienischen Kunst: eine byzantinisch-venetianische
»Taufe Christi« auf Goldgrund, die um i3oo ent-
standen sein dürfte und den Reiz ernsUandächtiger
Kunstübung zeigt. Außerdem aus Italien ein Salva-
tor Rosa: »Das Martyrium des heiligen Januarius
und seiner Gefährten«, eine figurenreiche Kompo-
sition von großer Verve.
Aus der altdeutschen Abteilung seien die durch
Stiftung erworbenen Porträts des Johann Stralen-
berg und seiner Frau, einer geborenen Stalburg,
erwähnt, die Conrad Faber von Kreuznach, der
Meister der Holzhausenbildnisse und Porträtist des
Frankfurter Patriziats, im Jahre x520 malte. Ein
Bild des Frankfurter Georg Flegel, ein Geschenk
der altholländischen Galerie, stellt ein sachlich und
zugleich fein gemaltes Stilleben dar.
Alle übrigen Neuerwerbungen gehören in das 19.
oder das 20. Jahrhundert. Da Caspar David Fried-
rich, der Hauptmeister norddeutscher Landschafts-
malerei, bis jetzt nicht im Städel vertreten war, so
bedeutet sein »Nebelmorgen im Riesengebirge«
einen willkommenen Zuwachs. Das stille Bild in
seinen edlen, romantischen Linienzügen, seinen
sanften Farben von Beige, Lila und Blaßblau ist
zauberhaft wie das Traumbild einer Landschaft
und doch voll tiefem Wahrheitsgehalt wie etwa ein
Kodier. Von Caspar David Friedrichs langjährigem
Freund in Dresden, von Johann Christian Dahl, er-
warb der Städel einen »Vesuvausbruch«, der zu den
wichtigsten Gemälden des Museums zählen wird.
Der Maler scheint in unmittelbarer Nähe der feu-
rig fließenden Lava gestanden und gemalt zu ha-
ben, was damals einem lebensgefährlichen Wagnis
gleichkam. Wuchtige Darstellungskraft ballt den
Vorgang zu einem eminent dramatischen Natur-

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