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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Meier-Graefe, Julius: Französische Zeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0040
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Gustave Courbet Waldlichtung

SammluDgeu J. W. Böhler, Luzern

dem bissigen Journalisten geworden. Lautrec’s Sonderbegabung für die Graphik war
sein Schicksal. Die Blague eines großen Malers liat liöheren Humor, steht weiter von
dem Aktuellen. Manet litt an dem Überschuß von Malerroutine, uncl Claude Monet ging
daran zugrunde. Man wundert sicli, daß die junge Generation französischer Kritiker
noch immer nicht diesen Denkfehler erkannt hat und den späten Monet nicht ge-
bührend tiefer hängt. Die »Nenuphars«, die keinen Anfang und kein Ende haben,
werden immer noch bewundert. Van Gogh zeichnete solange, bis der Geist über ihn
kam, und dann zeichnete er erst recht. Die Linien flammten. Gauguin liat mit aller
Farbentrunkenheit nie seine kahle Struktur, Zeichen seines trostlosen Intellektualismus
zu belauben vermocht. Vielleicht war Cezanne der einzige, cler nur malte. Es gelang
ihm, mit gehauchten Tönen unendliche Räume zu fixieren. Es kann aber aucli eine
besondere Art von Zeichnung gewesen sein.

Manchmal liintergeht die Struktur den Maler, der Fall des Kubismus, und zuweilen
verrät der Maler, was der Konstrukteur verschweigen möchte. Auf der Ausstellung
von Zeichnungen seit Cezanne, in der Galerie Flechtheim, gab es Intimitäten der
Kubisten von nichts weniger als kubistischer Llaltung, Geständnisse von sonderbarer
Resonanz, ebenso eindringlich wie Gauguins letztes Bild aus Tahiti, mit dem der
Europahasser ein bretonisches Dorf im Schnee verherrlichte.

Vielleicht ruft die Zeichnung in Frankreich immer wieder die Stürmer zur Ordnung-
diesmal unter Zeichnung eine Gebärde verstanden, die aus dem Glashaus der Abstrak-
tion der Mensclilieit zunickt. Sie war es, die Cezanne am Schluß seiner Laufbahn das
große Gemälde mit dem Dom aus Bäumen über den Badenden eingab, ein Gruß an
die Heimat, und die Renoir kurz vor dem Tode auf die Idee brachte, von Anstreichern
nach seinen Angaben Fresken malen zu lassen.

Man kann alles Mögliches unter Zeichnung verstehen. Der einst gefürchtete Begriff
der Akademiker gehört in die Rumpelkammer zu Ideal und Real und ähnlichen Ge-
schichten. Zeiclme mit dem Pinsel, male mit dem Bleistift! — Ein Meister Frankreichs,
den man mit Farbentheorieen ödete, soll gesagt haben: Donnez-moi de la boue, je
vous ferai des chefs d’oeuvre!

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