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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Meier-Graefe, Julius: Französische Zeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0039

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Constantin Guys Dame am Fenster sitzend mit Hund

Sammlung J. W. Böhler, Luzern

Perseus ist nur das Libretto einer unbegrenzten Musik. Der Ingres rührt sich nicht.
So wie er präpariert wurde, bleibt er. Yon dem Perseus wird jede Generation etwas
anderes davon tragen, ja. derselbe Betrachter sieht ihn jedesmal neu. Fragt nun einer,
was besser gezeichnet sei, das Bildnis oder der Perseus, gäbe es kaum eine Antwort, da
das in dem Delacroix Gestaltete von Ingres nicht geahnt wurde.

Cassirer bringt ein paar Tierpastelle von Barye. dem berühmten Tierspezialisten, und
ein paar Tierstudien von Delacroix, nicht die besten. Neben Delacroix wirkt die Löwin
Barye’s ausgestopft, und die reizvolle Pastelltechnik tut niclits zur Sache. — Ausgestopft
wirken Courbets Holzsäger. Sie geben die Stellung der Szene. Die Bewegung muß
man sich dazu denken. Vor solchen Blättern pflegt man zu sagen: er war eben nur
Maler, kein Zeichner. Ob die Erklärung ausreicht? Vielen Gemälden Courbets fehlt
die von keinem malerischen Effekt zu ersetzende Haltung. Sie haben wunderbare Stellen
aber ungenügenden Organismus, sind gemalt, nicht komponiert, nicht zu Ende ge-
dacht. Nur dieses Das-Bild-denken ist uns Zeichnung. Ich erinnere an Courbets »Lut-
teurs«, die beiden kolossalen Ringer im Zirkus, die in der Arena stehen wie Eisberge
im Aquarium, an seine »Demoiselles au bord de laSeine«, die fabelliafteDetails aber keinen
Raum haben, an die luftleere Genreszene »Bonjour, Monsieur Courbet«, an so manche
großartige Marine, die durch ein paar alberne Schiffchen, an wuchtige Felsgrotten, die
durcli ausgestopfte Rehe trivialisiert werden. Daneben gemalt. Warum war Daumier,der
fast sein Leben lang lithographierte, einer der größten Maler? Wäre es gewesen, selbst
wenn es niclit die Ölbilder von ihm gäbe. In manchen flüchtigen Kohlezeichnungen,
von denen ein paar bei Cassirer hängen, steckt mehr Farbigkeit, mehr lebende Materie
als in Dutzenden von Koloristen. Von Renoir glaubte man lange, er verstehe nur, in
gefälligem Duft zu schlummern, bis eines Tages die »ingresken« Entwürfe zu den
»Baigneuses« zum Vorschein kamen, und heute noch faselt die halbe Welt von seiner
übertriebenen Süßigkeit und ahnt niclit den festen Bau seiner losen Dinge. Sind Nur-
Zeichner, Nur-Maler denkbar? Wolil lediglich im Gewerbe, nicht auf den Hölien.
Degas trug seinen Vorrang als Anatom wie einen Makel, und Forain ist deshalb zu

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