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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 15/16
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0467

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Johannes Schröder, Hamburg. Drehscheibenmodell
zu »Egmont«. Ausgeführt zur Goethevvoche inBocliuni
Phot.: Dr. E. Lehmann

Aus der Aussteliung »Moderne Biihnenkunst in Hamburg« (s. S. 440)

RUNDSCHAU

VON DEN MUSEEN

DIE NEUORDNUNG DES KRONPRINZENPALAIS

Dio moderne Abteilung der Nationalgalerie liat
durch Justi eine durchgreifende Neuordnung er-
fahren, die sinngemäß akzentuiert und die Werte
vorziigHch gegeneinander heraussteUt. Der für
museale Zwecke wenig geeignete Bau sollle trotz-
d'em, je elier je besser, die von Tessenow bereits
ausgearbeitete und im Prinzip genehmigte Um-
gestaRung erfahren: denn so wie die Dinge jetzt
liegen, bleibt auch die beste Neuordnung immer
noch eine Art Notlösung. Aber auch diese ist ein
Verdienst. Die Gemalde Corinths füllen im Par-
terre die beiden Säle links und erhärten in auf-
schlußreicher Beziehung untereinander aufs cin-
dringlichste, daß die deutsche Malerei nach 1900
in dem Oeuvre dieses kraftvollen Ostpreußen einen
einsamen Gipfel erreicht und daß die Spätwerke
dieses Malers einmal mit denen von Greco oder
Rembrandt in einer Linie rangieren werden. Daß
es Jusli gelungen ist, einige der bcdeutendsten
Spätwerke Corinths, wie den schlechthin ersqhüt-
ternden »Ecco homo«, das visionäre »Trojanische
Pferd«, das Porträt von Georg Brandes neben an-
derem seiner Galerie zu sichern, ist eine Tat, zu
der lüan ihn und uns beglückwiinschen muß. Daß
gegenüber diesem Eindruck beim Durchwandern der
anderen Säle lange nichts aufkommt, beweist am
besten das absolut Bezwingende der Corinthsehen
Einmaligkeit. Das zeitgenössische Berlin, das diese
Corintlische Entwicklung begleit.el . ist fast belang-
los, selbst Liebermann erscheint nach Corinth wie
eine Größe zweiten Ranges, obwohl in dem ihm
reservierten Raum das Amsterdamer Waisenhaus

immer wieder besticht und die Schätzungdieses Ma-
lers stützt. Erst bei den Franzosen, die v. Tschudi
der Galeric gesichert, atmet man erleichtert auf,
aber es muß auch gesagt werden, daß an die Stelle
der Bewunderung von einst ein Gefühl küliler
Ilochachtung getreten ist. Möglich, daß die Un-
gleichheit der Qualität heute offensichtlicher ist
und auch hier die Nähe Corinths die künstlerische
Distanz verlängert. Die Dinge aber, die uns voll
und ganz wieder gefangen nehmen, uns innerlich
umklammern und festhalten, sind im oberen Stock-
werk, in den chemaligen Domestikenzimmern die-
ses unglücklichen Baus mit einem beispielhaften
Gefühl für malerische Werte neugeordnet. So gut
sah man die Maler der »Briicke« noch nie zusam-
men. Die Ileckel- und Kirchner-Zimmer zumal,
die der ordnenden Hand des Direktors alle Elirc
machen. Und ganz neu und mittelalterlich groß in
seiner Erscheinung wirkt liier Einil Nolde, der
jetzt endlich auch einen eigenen Saal bekommen
hat. Das innere Gesicht dieses Revolutionärs von
gestern, den die Jugend von heute mit Recht be-
reils als Klassiker verehrt, erscheint mir wie zeit-
lose Ewigkeit. Man denkt an ganz frühe europä-
ischc Dinge, dann an die Glasfenster in Chartres,
uncl es wird einem erst ganz langsam klar, daß es
im Grunde unser eigenes »Gesicht« ist, das hinter
diesen verhalten glühenden Bildern stelit. Ganz
ausgezeichnet gerade in diesem Raum, der fast
ganz Leihgabe des Künstlers ist, die letzte Neu-
erwerbüng der Galerie.

Vieles ist natürlich in diesem werdenden »Mu-
seum der Lebenden« notgedrungen Provisorium
— der Ausbau ins Europäische hinein ist beson-
ders zu begrüßen — so verbietet an dieser Stelle

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