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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 4
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Sammler und Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0142

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Brüssel um 1550 Antependium. Tapisserie

Versteigerung der Sammlung Vieweg-Braunschweig am 18. März bei Kud. Lepke in Berlin

SAMMLER UND MARKT

DIE SAMMLUNG LANSDOWNE

Zur Versteigerung der beriihmten antiken

Skulpturen amg.MärzbeiChristieinLondon

1771 war Lord Shelburne aus Schmerz über den
Verlust seincr Frau und aus Enttäuschung über
den politischen Kurs seincs Landes nach Italien ge-
reist und hatte dort den Plan gefaßt, in seinem
cnglischen llaus cinc bedentende Galerie antiker
Skulpturcn anzulegen. Und er war glücklich: Ga-
vin Hamilton, ein schottischer Maler und cifriger
Forscher nach antiken Überresten in Rom, sandte
ihm ein Meisterwerk nach dem andern, die er fast
alle bei seincn Ausgrabungen in der Nähe von Ila-
drians Tiburtinischer Villa, ncben der Via Appia
und bei der Villa des Gallienus zutage gefördert
hatte. Dazu kamen die Erwerbungen der Samm-
lung Webb und der Kollektion West (1771 uncl
1773), denen er in späteren Tagen noch wichtige
Ankäufe wic den des Herakles (1792) anreihte.
i8o5 starb Lord Shelburne und 1810 erwarb Mar-
quess of Lansdowne die Sammlung von Lord Wy-
combe, dessen Eigentum sie inzwischen geworden
war, fiir^io 680. Seitdem bildetedieSammlungden
weltberühmten Schmuck von Lansdowne House.
Dcr Versteigerungskatalog der Sammlung ncnnt
121 in Erhaltung, Qualität und Wert erheblich
variierende Stückc, von denen wir nur die bedcu-
tendsten herausgreifen können und dabei mitun-
ter den einzig und allein auf Michaelis (»Ancient
marbles in Grcat Britain«, 1882) fußenden Text
des Katalogs kritisch betrachten wollen.

Unter den vielen Perlen ist die verwundete Ama-
zone (Kat.-Nr. 59) wohl das schönste Stück der
Sammlung (Abb.). Als ihren Meister hat man bis-
her iinmer Polyklet genannt. Ist ja der Kanon des
Meisters, das Ideal oines festen, gedrungenen, nor-

mal proportionierten Körpers sowie ein ruhiges
Standmotiv mit dem Ausruhcn auf einem Bein in
ihr lebenclig. Für das Artemision in Ephesos haben
nach Plinius Polyklet ebenso wie Phidias 1, Kresi-
las und Phradmon eine Amazone geliefert und
Polvklet soll dabei den Sieg über die anderen da-
vongetragen haben. Nim hat in neuester Zeit Wol-
ters die Frage aufgeworfen, ob nicht die im Kapi-
tol erhaltene Amazone, dio man gewöhnlich dem
Kresilas zugeschrieben bat, von Polyklet stammen
könne, da dort dic VerwundetemitgrößererSchön-
hcit, Ilealität und psychologischer Ivonsequenz dar-
gestellt sei als diejenige der Lansdowne-Kollek-
tion, die dann als Werk des von Polyklet abhängi-
gen Phradmon anzusehen sei. Donn die Lans-
downesche Amazone zerrt ja durch das Aufheben
ihres rechten Armes wenig sinngemäß die Wunde
neben ihrer rechten Brust, aucli ist auffallend, daß
ohne Rücksicht auf Stand- uncl Spielbein die Fal-
ten des Chitons in strenger Symmetrie herabfallen.
In jedem Fall ist die Lansdownesche Amazoneeine
der schönsten Frauenslatuen, die uns von der An-
tike erhalten sind.

Ein anderes Prachtwerk ist die gut erhaltene Ile-
raklesstatue aus feinstem pentelischem Marmor
(NT. 34). Michaelis hat wegen der Länge ihrer
Beine und Freiheit der Bewegung den Geist und
die Nähe Lysipps in der Stalue gespürt, doch recli-
net sie Wolters mit Recht zu den Götterbildern,
die Skopas für den Peloponnes gearbeitet hat. Im
lebendigen Ausdruck des Kopfes und der Bildung
des Körpers ist der Mann mit Keule und Löwen-

1 Das VVerk des Phidias, die sogenannte matteische
Amazone, befindet sich im Vatikan und ist ebenso
wie die kapitolinische nach Maßgabe von Gemmen
richtig ergänzt.
 
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