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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 8
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0256

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RUNDSCHAU

BERLINER AUSSTELLUNGEN

Aquarelle von Ghagall /., Willy Kriegel /

No 1 de-Graphik / Philipp Franck / Verein

Berliner Künstler

Vollard hat Chagall angestiftet, die Fabeln des
La Fontaine zu illustrieren; als Vorarbeit zu den
Iladierungen sind hundert Aquarelle entstanden,
die von der Galerie Flechtheim gezeigt wer-
den. Das ist nun Blatt um Blatt unvergleichlich be-
zaubernd. Die tiefsinnig-heitere Sorglosigkeit der
Eingebungen, das nrärchenhafte Farbengesprüh,
die legendäre Breite einer zugleich spielerischc
Zierlichkeiten launig verstreuenden Diktion,
man kommt aus beglücktester Überraschung nicht
hcraus. Orientalische Tiermythen schauen in den
Spiegel kindlichen Mutwillens, Grazie der Anek-
dote wird phantastisch überfunkelt. Hier schielt
der Fuchs nach den sprichwörtlichen Trauben, die
schillernd in wunderbarer Iiimmelsbläue schau-
keln, dort tritt in kostbarer Tupfenschleppe der
Pfau vor Juno hin mit seiner Ivlage. Blumenbunt
glitzert noch die vom Sturm gefällte Eiche. Man
ist durch ein einziges Paradies geleitet, dessen rei-
zende Unschuld nicht nur die Tatzen der Löwen
sänftigt, sondern auch Tod und Spottgestalt in
zartes, zahmes Rätsel verwandelt. Man ist entführt
in eine blühende Region unausdeutbar weisen und
witzigen Spukes. Man ist in hundertfältigen Über-
mut und Zaubergeist der fabulierenden Farbe ein-
geweiht.

Jedes der Bilder von Willy Ivriegel, die man
in der wiedereröffneten Galerie Wiltschek
sieht, ist ein Werk in sich, eine individuelle Ge-
staltung. Dies Eigengewicht verleiht ihnen das Be-
streben, jeweils ein besonderes Darstellungsthema
in reicher Durchführung zu erschöpfen. Man läßt
sich von solchem Volleinsatz, der die serienmäßige
Erzeugung verwechselbarer Bildexemplare ver-
schmäht, urn so stärker fesseln, als er Ausführlich-
keit mit malerischer Großzügigkcit, stoffliche
Prägnanz mit phantastischem Blick zu verbinden
weiß. So droht ein mächtiger Gorilla auf, erhoben die
runzelige Tatze, suggestiv gerade durch das Wechsel-
spiel von Braunblond und Schwarzgrün, das seine
wilde und melancholische Erscheinung umflutet.
So lehnt ein kranker Mann schlaff im Bilde, ver-
stoppelt und zerzaust, erschütternd durch das fahle
Rosagelb der hlutleeren Ilaut, das sein Zimmer als
ein schleichender Schein erfüllt. So atmet hinter
Polypenbäumen mit flatternden Fangarmzweigen
grünsilbriges Tal, die blaß aufatmende Ebene des
Sees. Die Realität weitet sich fließend ins Geheim-
nisreiche und Unheimliche. Die Dinge und Ant-
Jitzc tauchen in den Glanz einer gleichsam amphi-
bischen Schönheit. Und es ist intuitive, strömende
Malerei, die solches bewirkt.

Ilolzschnilte und Radierungen von Emil Nolde
breitet die Galerie Ferdinand Möller aus,

anschließend an ihre Ausstellung von Gemälden
dieses in allen seinen Äußerungen durch die Tiefe
der Eruption bestiirzcnden Künstlers. Manistaber-
mals vom Trolz scines graphischen Zugriffs, von
der zuckenden Ursinnlichkeit der Umrisse und
Schwärzen überwältigt. Aus bekannten und selte-
ner gesehenen Blättern erneut sich der starke Ein-
druck.

Ilir Mitglied Philipp Franck ehrt dic Aka-
demie der Künste zum 70. Geburtstage durch
eine Ausstellung seiner Aquarelle, deren sonnige
und luftige Klarfarbigkeit den frischen Blick die-
ses Malers rühmt. Neben Blättern, die ohne kolo-
ristische Einbußen auf die zeichnerische Sicherheit
seiner Hand gestützt bleiben, Beiträgen etwa zum
Thema Mutter und Kind, Porträts, leuchten in
kühnen Transparenzen andere auf, die das griine
Glühen des Frühlings und das gelbe des Ilerbstes,
das muschelbunte Schillern der Bergseen und den
duftigen Klang von Fingerhut und Mohn zart-
kräftig bewahren.

Durfte man in den beiden letzten Jaliren aus den
Veranstaltungen dcs VereinsBerlinerKünst-
ler mit Genugtuung auf einen endlicli erwachten
Verjüngungswillen schließen und sich über man-
chen Ansatz frcuen, mit der künstlerischen Le-
bendigkeit der Zeil in Kontakt zu kommen, so war
doch allzubald ein Nachlassen solcher Regungen,
ein Wiederabsacken zu spüren. Und heute ist wie-
der alles wie es war. Die Frühjahrsausstellung im
Künstlerhaus bietet ein Gesamtbild der geistigen
Öde, der muffigen Selbstgenügsamkeit, des Ver-
antwortungsmangels, daß nur in aller Deutlichkeit
gesagt werden kann: wenn es in diesem Stile wei-
tergehen sollte, hat der kritische Beobachter liier
nichts mehr zu suchen. Abgesehen von den ton-
sanften Landschaften der Pfitzner und Türcke,
von den feinen Porträtskulpturen der Isenstein
und Karsch kaum cine Leistung, die die künstle-
rische Öffentlichkeit etwas angeht. Das Niveau
senkt sich vielfach zu dem der Ramschkunsthand-
lungen in der Friedrichstraße. Wolfradt

FRANKFURT a. M.

Das Kupferstichkabinett, unter der rührigen Lei-
tung von Dr. Edrnund Schilling, präsentiert im
Erdgeschoß des Städel »Aquarelle aus vier Jahr-
hunderten«. Bei den aquarellierten Blättern der
frühen Meister spielt die Farbe nur eine sekundäre
Rolle, wirkt nur als Begleitmotiv für den Linien-
rhythmus des Vorwurfs, auch bei Holbein d. Ä. und
Dürer. Der Prager Wenzel Hollar zeigt das erstc
farbig aufgefaßte Aquarell in der Darstellung
zweier Frauen, deren eine in wunderbar grauen
Tönen den sanften Aufklang zu ihrer Nachbarin
in kräftigerer Farbigkeit, in grüner Schürze und
pikantem, rotem Ärmelaufschlag, gibt. Reizvoll
auch seine ganz kleinen, flach hingestreckten Land-

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