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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 11
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Rosenthal, Erwin: Wandlungen in der italienischen Malerei um 1500: Eigenentwicklung und deutsches Element
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0327

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Abb. 1. Botticelli Mars und Venus. Ca. 1477

WANDLUNGEN IN DER ITALIENISCHEN

MALEREI UM 1500

EIGENENTWICKLUNG UND DEUTSCHESELEMENT

VON ERWIN ROSENTHAL

Die nachfolgenden Betrachtungen entstanden aus der Lektüre ron Theodor Hetzers Buch:
Das deutsche Element in der italienischen Malerei des 16. Jahrhunderts, Berlin 1929. Sie
sind weniger und mehr als eine Besprechung. Weniger, weil sie keineswegs Anspruch
darauf machen, das Bucli in allen seinen Teilen kritisch zu bewerten, mehr, weil sie
versuchen, ein im Mittelpunkt desselben stehendes Problem historisch umzudeuten.

Als sicb gegen die Neige des 18. Jalirhunderts Goethc der klassischen Form des Siidens zugewendet
hatte, erklang eine deutsche Stimme, welclie der italienischen Klassik den Gehalt der nordischen Go-
tik entgegenhielt. »Ein kunstliebender Klosterbruder« erzählt von der Seele und der tiefen Bedeu-
lung, welche Albrecht Diirers Menschen auszeichnen und wünscht seinon Albrecht gleich groß neben
Raffael gestellt zu wissen. Die Kunstgeschichte hat noch lange gezögert, ehe sie diesem Weckruf Wak-
kenroders folgend, Dürer völlig Gerechtigkeit widerfahren ließ. Je tiefer man dann in sein Werk ein-
drang, desto stärker wurden die italienischen Momente in seinem künstlerischen Schaffen ver-
merkt. So konnte es kommen, daß man in der großartigen Darstellung, welche uns vor einem Viertel-
jahrhundert Heinrich Wölfflin von dem Wesen Dürerscher Kunst entwarf, einen allzu italienisch schil-
lernden Dürer witterte, und es scheint seit rund zehn Jahren, bis herein in die jüngsten Jubiläumsreden
(1938), zu einer Art Ehrenpflicht zu werden, den Wackenroderschcn, den deutschen Diirer zu retten.
Er wurde durch Oskar Ilagen temperamentvoll verteidigt, und Arpad Weixlgärtner hat mit philologi-
scher Sorgfalt aBe italienischen Kunstwerke auf ihren Gehalt an Diirerschen Ingredienzien unter-
sucht 1. Hetzer tut aber in solcher Richtung mehrere Schritte weiter. Noch einmal wird der Traum des
Klosterbruders geträumt: Raffael und Albrechl Diirer stehen Iland in lland nebeneinander. Nun aber
erscheint Diirer nicht melir als der seelisch Ringende, der sicli neben dem Geber himmlischer Scliön-
heit ebenfalls behaupten dürfe, sondern als Repräsentant der deutschen Kunst, ohne welche Raffael
überhaupt nicht Raffael geworden wäre. Wir haben gewußt von der Rolle, welche dic nordische Gotik
im Siiden spielte, vom zisalpinen Einschlag in italienischen Bildern urn das Jahr i4oo, vom Einfluß
niederländischer Meisler im Verlauf des Quattrocento und von der innner stärker betonten Verwen-
dung Dürerscher Werke und Einzelmotive in der italienischen Kunst — aber Hetzer geht auf anderes.
Er bringt die weltgeschichtlich bedeutende Wandlung der italienischen Kunst um das Jahr i5oo in Zu-
sammenhang mit der Ausbreitung deutscher Grundsätze der ki'instlerisclien Gestaltung. Die Entfaltung
zur organischen Einheitlichkeit von Mensch und Umwelt, die struktiven Elemente des Bildaufbaus er-
leben eine Verschmelzung mit deutschem Geist. Die Berührung aber soll nicht im üblichen Sinne eine
solche mit der gleichzeitigen germanischen Kunstäußerung darstellen, sondern »das deutsche Element«
als ein Gestaltungsprinzip, welches seit dem Mittelalter die deutsche Kunst kennzeichnet, verbinde sich
jetzt mit italienischer Vorstellung. Deutschland erfülle eine Mission. Was es Jahrhunderte gepflegt,
gibt es nach Helzers Ansicht an Italien weiter, und von liier aus bestimmt es, zu neuer Wirkung gestei-
gert, auf Jahrhunderte hinaus die gesamte aberidländische Kunstentwicklung. Eine solche mit ethi-
schern Impuls vorgetragene These widerspricht, wie man sieht, der Vorstellung, die wir uns von dem
Verlauf künstlerischer Beeinflussungen in den europäischen Ländern zu machen gewohnt und bercch-
tigt sind. Da der Aufruf nicht von einem politischen Ideologen und beliebigen kunsthistorischen Schwär-

1 Das Dürerische in der italienischen Malerei. Z. f. b. K. 1918 — Alberto Duro. Festschrift für Julius Schlosser. 1926.
25 Der Cicerone, Jahrg. XXXI, Heft 11 — f) T
 
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