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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Sammler und Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0088

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SAMMLER UND MARKT

DER WELFENSCHATZ

Nachdem sich die Stadt Hannover am Jahresende
leider vergeblich bemüht hatte, den berühmten
Domschatz von St. Blasien in Braunschweig zu-
gleich mit dem Schloß und den Gärten von Her-
renhausen zu erwerben (ein Projekt, das an der
derzeitigen kommunalpolitischen Situationin Han-
nover von vornherein scheitern mußte), ist der
Welfenschatz Anfang des neuen Jahres in den Be-
sitz dreier Kunstfirmen übergegangen, die zu den
bedeutendsten des internationalen Antiquitäten-
liandels rechnen und ihren Stammsitz in Frank-
furt a. M. haben: Die Firmen J. und S. Gold-
schmidt, Hofantiquar J. Rosenbaum und
Anticjuar FI a c k e n b r o c h haben den Domschatz
um einen bedeutenden Preis — genannt werden
io Mill. RM. — erworben, zunächst aber nicht in
der Absicht, ihn nach Amerika zu verkaufen. Im
Gegenteii: Der Welfenschatz darf nicht ins Aus-
land gehen, er muß in Deutschland bleiben. Das
deutsche Ivulturgewissen hat sich also darüber
klar zu werden, wie es zu ermöglichen wäre, dies
wundervolle Yermächtnis frühmittelalterlicher
Kunst, das zum großen Teil auf Heinrich den
Löwen zurückgeht, für Deutschland zu erhalten.
Wir bauon am Deutschen Museum in Berlin, das
noch in diesem Jahre eingeweiht werden soll. Hier
wäre der Platz, wenn sich etwa Reich und Preußen
zur Erwerbung zusammentäten. Reizvoller, weil
dürch die Tradition bedingter, ist die Idee mit
Hannover, wo der Schatz vor dem Zusammen-
bruch des welfischen Königsreiches 200 Jahre in
der alten Schloßkirche beheimatet war. Diese
Stadt hat um die Genehmigung für eine Lotterie
nachgesucht, ein Gedanke, der das parlamenta-
rische System und die Gebundenheit der Parteien
überwinden könnte. Käme der Schatz aber nach
Hannover, so wäre er — aucli wirtschaftlich —
größte Attraktion für die alte Welfenresidenz, die
auch Herrenhausen auf die Dauer in ihrem Be-
sitz nicht entbehren kann.

Schließlich, der Schatz wäre zwischen Berlin und
Hannover zu teilen und — wenn man halbwegs
modern denkt — temporär auszutauschen. In die-
sem Fall wird der Kampf vor allem um die gro-
ßen Stücke gehen: Das Kuppelreliquiar, das ein
Gegenbeispiel nur im Kensington-Museum in
London hat, um das Welfenkreuz, um die Deme-
triustafel, um ein paar Tragaltäre, Reliquiare und
Monstranzen von besonderer Qualität, d. h. außer
den obengenannten Werken um etwa zehn hervor-
ragende und einzigartige originale Schöpfungcn
frühmitlelalterlicher Kunst, die die Ilöhe deut-
schen Ivunstschaffens einerseits — anderseits aber
dic Internationalität der Epoche belegen, die da-
mals, kulturell zum mindesten, bereits ein soge-
nanntes Pan-Europa gekannt hat. Ginge es allein
um die materielle Einschätzung dieses Besitzes, so

wäre leicht zu beweisen, daß die Millioncn, die
heute der Handel für diesen Schatz gezahlt hat,
drüben leicht den doppellen Erlös garantieren und
daß diese Summe in dreißig Jahren lächerlich
niedrig erscheinen wird im Yergleich mit anderen
Kostbarkeiten, die das verarmte Europa bis dahin
an Amerika ausliefert (sofern es überhaupt noch
nennenswerte Kunstwerte solcher Art besitzt).

Der Welfenschatz sollte also unter keinon Um-
sländen Deutschland verlässen. Ein Yolk, das Mil-
liarden an Reparationen zahlen muß, darf sich
ruhig seiner moralischen Verpflichtung der eige-
nen Geschichte gegenüber bewußt sein. Die Händ-
ler abcr, die lieute Hüter dieses einzigartigen Be-
sitzes sind, denken gar nicht daran, den Schatz ins
Ausland zu verkaufen, solange nocli eine Iloff-
nung besteht, ihn für uns zu erhalten. Sie wcrden
den lange verschlossenen Besitz, dcn bisher nur
wenige kennengelernt haben, zunächst einmal öf-
fentlich zeigcn und bereiten zudem eine wissen-
schaftliche Publikation des Ganzen vor, die mög-
lichst weilen Kreisen die Kenntnis des berühmten
Domschatzes von St. Blasien zu Braunschweig ver-
mitteln soll. Biermann

BERLINER VERSTEIGERUNGEN
Am 4. März findet bei Lepke, Berlin, die Ver-
steigerung der Sammlung Geh. Ilofrat Her-
mann Dobrikow, Peking, statt. Der Nach-
druck sciner Sammlung liegt auf den Porzellanen,
besonders auf den frühen Blauweiß-Porzellanen
und dem Seladon. Auch die Frühkeramik ist mit
einer Reihe von guten Stücken"vertreten. Äußer-
dem hat er auch chinesische Teppiche gesammelt,
die in den letzten Jahrzehnten, namentlich in
Amerika, außerordentliche Verbreitung gewonnen
haben. Die Sammlung enthält etwa 20 Arbeiten
dieser Art, kleinere wie größere Stücke.

Ferner enthält die Sammlung vorzügliche blaue
Porzellane mit Golddekor, zum Teil aus der besten
Zeit, einige Cloisonne-Arbeiten, ferner aus der
Ganghi-Periode einen Ingwertopf mit Deckel und
ein Paar Fo-Hunde in email-sur-biscuit-Technik.
Am 18. März folgt die Versteigerung cler Samm-
lung V i e w e g, Braunschweig. Diese Sammlung
ist gleichbedeutend durch ihren Besitz an Gemäl-
den wie durch das alte Knnstgewerbe; ihre Schätze
sind seit dcm 18. Jahrhundert verschiedene Gene-
rationen liindurch mit großcm Verständnis ge-
sammelt worden.

Von altitalienischen Bildern nennen wir Marco
Zoppo, Pasqualino Veneziano, Defendente Fer-
rari, von niederländischen einen Knabenkopf von
van Dyck, Bilcler von Avercamp, Mieris, Cocques
u. v. a., von älteren Arbeiten den Meister der
weiblichen Halbfiguren, Jan van Scorel, Jan Pro-
vost, Seb. Vrancx, Grimmer, von den älteren
Deutschen Lucas Cranach d. Ä., Barthel Bruyn

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