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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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[Heft 13/14]
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Roh, Franz: Kunst der Gegenwart München 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0421

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H. Lasser , Sommer

Neue Sezession, München, Glaspalast

KUNST DER GEGENWART MÜNCHEN 1930

VON FRANZ ROH

Rctraclitet man die Anslrengungen, die München letzthin maclite, um aus partikularistischer Ab-
schnürungspolitik herauszukommen und wicder Anziehungspunkt für umfassendere Neigungen gesamt-
europäisch interessierter Menschen zu werden, so muß man zugestehen, daß manches unternommen
wurde und wieder vorwärtsführt. Münchens Lage bleibt klimatisch so liervorragend, seine Umgebung
derart fesselnd, daß es wirklich ein Jammer wärc, wenn vorwärtstreibendes künstlerisches Leben liier
keinc Zentrale rnelir fände. Die kulturelle Krisis dieser Sladt gilt als iiberschritten. Freilich sind noch
innner folgende Einstellungen — bei führenden Häuptern — anzutreffen, Einstellungen, die gänzlich
auszurotten wären. Erstens (in Gesprächen und Texten immer noch zu finden) existieren Erörterungen
von »kulturellen Sonderbclangen Münchens«, von »ganz abweichenden Bedingungen dieser Sladt,
die eigene Maßsläbe verlangten«. Hiergegen ist zu sagen, daß Derarliges von Wissenschaftlern post
festum konstatiert werden darf, nie aber in die kunstpolitische Frage der lcbenden Gegenwart ge-
hört. Wenn jemand seine Individualität belont zu liegen beginnl, so hat cr in spontanerem Sinne diese
Individualität bereits verloren. Engster Anschluß an alle gesamteuropäischen Intercssen war irn-
mer bezeichnend für Münchens Zeiten des A u f s ch w un g es. Eine Sondernote stellt sich immer
schon von selber her. Sobald diese aber postuliert wird (niemals geschah dies früher in München), he-
ginnt für Feinerfühlende das künstlerische Treiben nach »Heimatkunst und Heimatschut'z« zu sclunek-
ken. Über die Problematik des »Ileimatschutzes« aber werden sicli neuerdings alle Vorwärtstreiben-
den einig: wo man erhalten und schützen zu müssen glaubt, versperrt man meistens nur dem ewig weiter-
treibenden Leben den Weg. Denn es liegt im Wesen der Geschichte, und hier kommen wir zum zweiten
Punkt, daß alles wahrhaft Zukünftige jeweils zucrst als »gewagt, unreif, die beste Tradition negicrend«
und (wie man heutc sagt) als »nur intellektuell bedingt, als nicht organisch, als Bluff, als Neues um
des Neucn willen, als bloßes Experiment« erachtet wird. Deshalb muß man jeder Metropole, wenn sie
Führung behalten will, dio ungewöhnliche Lehensregel mitgeben: Beteiligt eucli gcrade an allem, was
nach »Experiment« aussieht (und nehmt den schon bewährten Besitz nicht allzu ernst). Glaubt
nicht, auch wenn ihr eine geruhsame Landstadt darstellen wollt, ihr kämt um jene Bewegtlicit herum,
um jene »Schnellebigkeit«, die ja in München sowieso gänzlich anderen Lebenston annehmen würde als
etwa in Berlin oder Paris.

Man wird nun cinwenden: wo überhaupt liegt denn ein Komplex, der ängsllich umgangen würde liier

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