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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 19/20
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Sammler und Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0565

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SAMMLER UND MARKT

MUSEUMSVERKÄUFE

Aus der Eremitage hat die Sowjetregierung kürz-
lich vier Bilder aul dein Umweg über einen an-
gesehenen internationalen Händler-Konzern nacli
Amerika verkauft, und zwar den »Englischen
Gruß« des Jean van Eyck, ferner je ein bcdeuten-
des Bild von Remhrandt, Frans Ilals und van Dyck.
Der »Englische Gruß« des van Eyck ist inzwischen
in den Besitz des amcrikanischen Sammlers und
Schatzkanzlers W. Mellon übergegangen. Der Preis
für sämtliche Bilder soll etwa 6 Millionen RM. bc-
tragen haben. Wie man aus bester QueRe hört, soll
dieser erste Verkauf aus der Eremitage wirtschafts-
politischen Erwägungen entsprungen sein, und es
besteht kaum die Absicht, eincn weiteren Verkauf
zu täligen.

So wenig Europa direkt von dieser Maßnahme der
Sowjetregicrung getroffen wird, so sehr ist die
öffentliche Meinung über einen anderen geplan-
ten Verkauf crregt, den der Freistaat Braunschweig
zur Konsolidierung seiner musealen VerhäRnisse
plant. Es handelt sich da um den beriihmten Ver-
meer, »Mädchen mit Weinglas«, der noch 1928
auf der viel besuchten Berliner Ausstel-
lung »Das holländische Interieur« zusehen
war und von dort in seine stille Zurückge-
zogenheit nach Braunschvyeig heimkehrte.

Gewiß ist dies nicht das erste Beispiel, daß
deutsche Museen aus iliren Beständon ab-
geben, um neue Mittel für die Erhaltung
und den Ausbau der Sammlungen zu schaf-
fen. Aber diesmal handelt es sich um
ein Meisterwerk allerhöchsten Grades, das
zwar jahrzehntelang ein recht abgeschie-
denes Dasein geführt hat, weil das Braun-
sehweiger Museum nicht zu den Stätten
gehört, die der Fremdenstrom alljährlicih
zu besuehen pflegt und das kompliziert
den Fall für die öffentliche Meinung. Der
Fall liegt aber aucli sonst in Braunschweig
anders als in Petersburg, denn es handelt
sich hier um eine Existenzfrage des Mu-
seums und die Weiterentwicklung seiner
Sammlungen. Wenn sich die Braunscliwei-
ger llegierung entschließt, dieser Not ein
so erhebliches üpfer zu bringen, dann
könnte sie nur entschuldigt werden, wenn
sie iiber die nackte Existenzfrage liinaus
einen künstlerischen Neuaufbau be-
schließt, der den Verlust nicht nur wett-
macht, sondern Zukunftsmöglichkeiten er-
öffnet, an

in Braunschweig wahrscheinlich längst ge-
dacht haben. Denn auf die Dauer kann
eine solche Provinzsammlung auch von
dem schönsten Vermeer und dem ergrei-
fendsten Rembrandt allein nicht leben,
wenn sie nicht von innen heraus selbsl

Leben zeugt. Was für so viele aus den fiirst-
lichen Hinterlassenschaften übernommene Provinz-
sammlungen gilt, trifft in besonderem Maße aut'
das Braunschweiger Museum zu, das, wenn es sich
nur auf das Konservieren der Schätze verlegt, für
die Gegenwart langsam abstirht. Nicht zu sprechen
von der Tatsache des rein materiellen Verfalls, der
sich jetzt bereits in erschreckender Deutlichkeit
kundgibt.

Trifft aber die Ilöhc der in der öffentlichkeit dis-
kutierten Verkaufssumme für den Vermeer wirk-
lich zu, dann rnüßte allein das jährliche Erträgnis
an Zinsen nicht nur für Erhaltung und Renovie-
rung ausreichen, sondern auch noch einen sehr be-
trächtlichen Einkaufsfonds abwerfen, der aus die-
ser heute toten Sammlung ein lebendiges Instru-
ment machen könnte, und es fragt sicli, ob es nichl
von unserem Standpunkl aus doch richtig ist, den
Vermeer der Not der Zeit zum Opfer zu bringen
und auf Grund eines solchen Opfers ein aktuelles
museales Programm zu entwickeln, das beispiels-
weise ebenso auf alte wie moderne deutsche Kunst
eingestellt sein müßte. Auf diesem Gebiet be-

die die maßgebenden Herren

A. Altdorfer Die Madonna in einer Landschaft. B.17
Aus der Kupferstich-Versteigerung bei C. G. Boerner, Leipzig
ani ji.—15. November
 
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