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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Roh, Franz: Kunst der Gegenwart München 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0422

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in München, wo doch z. B. der heurige Glaspalast alles zeigt, was Gewichtiges letzthin in Deutschland
geschaffen wurde. Wir antworten, da wir summarisch bleiben müssen: Es istder Komplex der abstrakten
Malerei und derjenigen Gestaltungsart, die man schlagwortartig als Bauhausstil bezeichnet. So weitgrei-
fend diesJahr die Ausstellung »Deutsche Kunst« (Glaspalast) zu sein scheint, Maler wie Klee, Kandinsky,
Schlemmer, Moholy, Muche, Feininger, sind nicht vertreten. Das aber ist beinah so, als wenn man, falls
Ende des ig. Jahrhunderts ein deutscher Querschnilt der Malerei hättc gezeigt werden sollen, die Rea-
listen zwar versammelt, aber den Gegenflügel der Deutschrömer weggelassen liätte. Zwei der besten deut-
schen Ausstellungen, die diesen Sommer besonders günstig fürs neue Deutschland zeugten und den Re-
spekt des gesamten Auslandes erzwangen, waren nicht zuletzt deshalb so fesselnd, wcil gerade jene
Kräfte hier mit demonstriert wurden. Ich meine den ausgezeichneten dcutschen Pavillon auf der (sonst
iibel organisierten) Biennale inVenedig unddanndie deutsche Werkbundausstellung in Paris, wo Deutsch-
land Frankreich überflügclt zu haben scheint. Dic Pariser Ausstellung lebt überhaupt nur von jenen
in München übergangenen Ivräften. Der deutsche Pavillon in Venedig ist wenigstens von ihnen mitge-
speist, und hier war nicht etwa ein »sicli überstürzendes Berlin« im Spiele: die staatliche Gemälde-
sammlung Dresdens hatte diese zweite Schau ausgewählt. — München schalte also endlich aucli die-
sen Bereich kräftig in seine Ausstellungswesen ein. München verschaffe sich, wenn irgend möglich, die
deutsche Werkbundausstellung, die heuer in Paris zu sehen ist. Erst dann wird jene Breite und Toleranz
vorhanden sein, deren sicli modernes Kunstleben bei uns rühmen möchte.

Dies vorausgeschickt, sei nun zuzugeben, daß in ihren Grenzen die »Deutsche Kunst«, d. h. die große
Sommerschau des Glaspalastes, sicli weiterhin gehoben hat. Es gibt manches Standhaltende zu sehen. Das
Niveau erscheint nicht im mindesten geringer als in anderen Ländern, auch als in Frankreich. Die ganze
Ausstellungsorganisation mit ihren diesmal ganz lichten, besonders übersichtlichen, weiträumigen, kaum
ermüdenden Fluchten ist nicht nur architektonisch gekonnt, sondern auch inhaltlich weit besser als etwa
jene verwandte Großunternehmung Venedigs, wo eben nur der deutsche Pavillon zu rühmen war, bei-
nah alle anderen Parzellen abcr geradezu skandalös zu nennen sind (skandalös nicht aus Schuld der
Länder, die gewiß gute Maler aufzuweisen haben, sondern aus Gründen der Auswahl).

Nun wäre für Miinchen zu fragen: wenn man schon mal die Plastik einbezieht (die iibrigens Geschmack
verrät, ohne einen überragenden, weitertreibenden Meister zu zeitigen), wenn man ferner schon das
Kunstgewerbe einschaltet, ob man dann nicht auch eine Architekturschau hätte angliedern sollen. Damit
wäre auch gebietlich erst ein Querschnitt durch alle visuellen Gestaltungszonen Deutschlands ge-
gehen gewesen. —

Da es unmöglich ist, auf aRe Bezirke dieser »Deutschen Ausstellung« (Glaspalast) einzugehen, seien
nur Gruppen, die alte und die neue Sezession herausgehoben. Einzelbefunde seien stichwortartig fest-
genagelt. Alte Sezession zunächst. Sie ist belastet mit ihren Senioren Zügel, Samberger, der Erlers,
Jank usw., Maler, die uns kaum noch ansprechen —• und die auch in sicli nachließen. Dafür treibt
die alte Sezession eine weitausgreifende Gastpolilik, die gar nicht schlecht geleitet wird. Äußerst reprä-
sentativ die Gedächtnisschau für Ilugo von Habermann, günstig ausgewählt, viel friihe Werke ver-
sammelnd und seine Vielseitigkeit zeigend, seine spätere Manieriertheit verschweigend. Die übliche
Liebermann- und Slevogt-Schau zeigt sodann diese wichtigen Ahnen der Vereinigung. — Vom heuti-
gen Stamme sieht man Geigenberger mit großer Ilaumform (Wasserburg), Rich. Pietzsch mit
manchmal feiner Farbenstellung, den unterschätzten Otto Dill mit öfters bester Ausnützung einer im-
pressionistisch belebten Faktur bei doch gedrungener Stille. Schwalhach verflachend ins elegisch De-
korative. Otto Schön und Wilh. Ileise ihre neuc erstaunliche Akribie leider oft ins Kunstgewerb-
liche veräußerlichend. F. Kitt fesselnd im Aufbau, aber etwas grob noch in der Flächengliederung,
Dobrowsky ebenfalls nicht schlecht im Aufbau, wenn auch in der Massenbildung etwas weich, Fai-
s t a u e r griffig und geschickt. F erner Ernst II u b e r, Charlotte Berend, Kohlhoff, Krauskopf,
Olto Marx. — K. Neyers sinnvoll gedämpft, Pudlich zu monoton in der Farbe, A. cle Ilaar, C. Becker,
B.H.Hundt (siehe Frau Ey, die Kunstmutter des »jungen Rheinland«), Hellmuth Schmidt, Trillhase seien
noch hervorgehoben. Jäckel arbeitet virtuos mit allzu glatter Schwellform. Besonders sei hingewiesen
auf Jankel Adler, der eines der interessantcsten Bilder der ganzen Ausstellung sandte, auf Schoff
(eine liebliche Kreuzung von Pascin und Renoir), auf Paul Strecker (Paris) und F. Baum (Mün-
chen). Letzterer schwankt noch, erbringt biswcilen aber Fesselndes. Selir edel im Farbklang einige Arbei-
ten von Rudolf Levy (-{■).

Neue Sezession. Wie die alte Ilabermann, Liebermann und Slevogt voranstellt, so die neue Emil
Nolde. Die ganze Glut und (einstens) neue Freiheit der Farbmacht quillt hier hervor. Aber auch das
bengalisierende Afrika, das hinter dieser Malerei steht, wird heute deutlich, wo wir wieder nach präzise-
rem Einbau auch des Mikrokosmus lechzen. Durchaus niclit nur »neue Urkraft« war liier amWerke, son-
dern sogar etwas Weichmütiges, Schwüles und Schwülstiges schwimmt mit in diesen zähflüssigen Farb-
massen. Diese(für manche »modernen« Gemüter noch vordatierte) Grenzerkenntnis wird bald Allgemein-
gut wcrden, wodurch die Wcrto und Verdienstc Noldes aber nicht verdunkelt werden sollen. Freilich

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