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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 3
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Giedion, Sigfried: Le Corbusier und das neue Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0108
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Furcht vor Ästhetik. Wie um 1900 das Gespenst der Stile die Entwicklung hemmte, so
hemmen lieute unbestimmte und dilettantische ästhetische Verordnungen oder Wünsche
der Bauherren die gesunde Entwicklung. Nacli wie vor tyrannisiert die Fassade.
Selbstverständlich wird sicli auch eine neue Ästhetik hilden, aber man wird kein Auf-
hebens mit ihr machen, vor allem aber wird man sich hüten. sie isoliert herauszu-
schälen. Sie ist untrennbar mit allen übrigen Funktionen verwachsen.

Der Einfluß der Form ist selbstverständlich beim Flaus ebenso spürbar wie bei jedern
Auto. Aber was an äußeren Gestaltungsmitteln notwendig war, hat die Kämpfer-
generation bereits erobert. Sie sind vorhanden. Der Nachwuchs braucht nicht weiter
Aufhebens zu machen. ».Tunge Generationen kommen; sie steigen dir ungeniert auf
die Schultern, und ohne dem Sprungbrett zu danken, hissen sie das Banner höher.«
(Corbusier, Einleitung.)

Wir haben uns früher schon gegen die Proportionsstudien gewandt, die Corbusier bei
seinen Häusern liebt. Er nennt sie »Trace regulateur«. Die Bearbeiter des vorliegen-
den Werkes übersetzen »Ordnungsregler«, Hildebrandt übersetzt sie mit »Aufriß-
regle r«. Diese Proportionsstudien scheinen uns schon deshall) nicht entscheidend zu
sein, da der Blick heute gar nicht mehr die einzelne Fassade umschreibt, sondern das
Hausganze. Corbusier selbst hat den ungehobelten Hausblock genial gelockert, und
wir glauben, ein Blick von einem seiner Dächer in die Durchdringungen von Innen-
und Außenraum, die er schafft, ist auch »ästhetisch« bezeichnender als die Frontansicht
seiner Häuser. Aber jeder von uns trägt die Schlacken seiner Generation mit sich
herum. Je klarer man zu diesen Dingen Stellung nimmt, um so mehr hat man die
Pflicht, zu betonen, daß über diesen Einzelheiten die grundlegende Funktion des Cor-
husierschen Werkes nicht vergessen wird, denn es ist unlösbar mit den Fundamenten
unserer Zeit verbunden.

IjO Corbusier

Ein Wohnraum im Hause La Roche
 
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