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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 9
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Goebel, Heinrich: Die Wandteppiche der Sammlung Dr. Albert Figdor
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0277
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nur entfernt an die frisclien, wesentlich durchgeistigteren Jungen- und Mädelsgesichter
der Basler Behänge um 1450.

Dr. Betty Kurth 1 hat zweifelsohne Recht, wenn sie den Schongauerschen Einfluß be-
tont. fn einem zünftigen Heidnischwerkerinnen-Atelier dürfte der Teppich kaum ent-
standen sein. Die Technik arbeitet vornehmlich mit der Schlitzwirkung. Die kreis-
runden Lagen, die Backen und Kinn modellieren, sind fleißige, wenn auch etwas
primitive Versuche der frommen Frauen eines Klosters der Nordschweiz.

Fiir die Schweizer Bildwirkereien des 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts (vier
Wandteppiche und ein Kissen) sind in erster Linie charakteristisch: die bekannte
Ehetreue-Priifung, datiert 1585, und die »Torheit des Alters« (die Dirne nimmt das
Geld des Alten und steckt es dem jungen Liebhaber zu) von 1559.

Der zweite große Kulturkreis deutscher mittelalterlicher Bildwirkerei umfaßt die
reichen, kunstgewerblich geschulten Klöster des Oberrheins sowie die Werkstätten der
filhrenden Städte des Elsaß, Straßburg an der Spitze. Es besteht kaum ein Zweifel,
daß in Orten mit machtvollem Patriziat die Heidnischwerker und -werkerinnen über
Mangel an Aufträgen nicht zu klagen liatten. Nicht minder gesichert erscheint mir
die Tatsache, daß, ähnlich wie z. B. in Frankfurt a. M., die Frauen und Töchter der
herrschenden Stadtgeschlechter selbst eifrig die Bildwirkerei betrieben.

Die Entwicklung der frühen elsässischen Manufakturen 2 hat einen ähnlichen Verlauf
genommen, wie in der stammesverwandten, kulturell eng verkniipften Nordschweiz.
Beiden Teppichgattungen ist das graziöse, dabei durch und durch volkstiimlich frische,
nationale Empfinden eigen, das in den Schweizer Behängen unser Herz gefangen nahm.
Der Elsässer Teppich gibt sich vielleicht noch etwas kecker und bewegter.

Als glänzender Vertreter erscheint ein Fragment der Sammlung Figdor (Abb. 5, 0,79 m
hoch, 1,55 m breit, Wolle und weiße Leinenfäden, um 1480) mit zwei Episoden aus
der mittelalterlichen deutschen Dichtung »Der Busant«.

Ein glücklicher Zufall hat uns den größten Teil der Folge erhalten. Die Aventure be-

1 Betty Kurth, a. a. O., Textband, S. 114.

2 Charakteristisch ist ein niedriger Wirkereistreifen der Sammlung Figdor: Liebespaare und Tiere
(Rapportmuster), Elsaß, erstes Drittel des 15. Jahrhunderts.

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