Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Goebel, Heinrich: Die Wandteppiche der Sammlung Dr. Albert Figdor
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0276

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ringen, das im 13. Säkulum das Menschenherz bewegt, die Auseinandersetzung der
Glaubenskonflikte, den Kampf mit den bösen Mächten und Lüsten, die das Heil der
Seele gefährden, mit der Untreue, die alle Welt erfüllt, die das Gute zu ersticken
droht. In Sprechbewegung — ähnlich wie in den Mysterienspielen der Zeit — weisen
Jüngling und Jungfrau warnend und hütend auf die Ungeheuer, die Yerkörperungen
zumeist böser Eigenschaften. Mit lebhaften Farben heben sich die Gestalten von dem
dunkelblauen Hintergrund, den ein Blumenrankenwerk überspinnt.

Das Fragment der Sammlung Figdor (Abb. 1, 0,91 m lioch, 2,23 m lang, Material:
Wolle), eine in der Farbengebung und in manchen Einzelheiten abweichende spätere
Wiederholung eines Teppichs im Schweizerischen Landesmuseum zu Zürich, dürfte
um 1430 anzusetzen sein. Es entstammt einem zünftigen Heidnischwerkerinnen-
Betrieb, der wahrscheinlich seinen Sitz in Basel hatte.

Zeigt der Behang eine von Nebenabsichten ungetrübte Beobachtungsgabe, so erscheint
in einem zweiten Fragment der Sammlung Figdor das volkstümliche Empfinden ins
Scherzhaft-Ironische umgebogen. Auf einem Esel reitet die selbstbewußte Hausfrau,
ihrer Meinung aller Tugenden voll. Der Zeichner der Vorlage ist nicht ganz ihrer
Ansicht; er gibt der fleißigen Frau, die, ihr Kindlein an der Brust, selbst beim Ritt zum
Markt das Spinnen nicht vergißt, allerlei Embleme mit, die einigermaßen boshaft sind.
Der kleine Affe zwischen den Eselsohren deutet, wenn nicht auf Schlimmeres, auf
Eitelkeit; Schwein und Bock sind nach dem alten Leitfaden des Physiologus, der auch
im 13. Jahrhundert noch in den Köpfen spukt, Symbole der Lnkeuschheit: kurz, die
ländliche Dame will mehr scheinen als sie ist. Das Motiv findet eine noch kräftigere
Betonung in einem zweiten, nahe verwandten Fragment im Kunstgewerbemuseum
zu Köln a. Rh., das einen höfisch gekleideten Jüngling als Kavalier beigibt, der ein
Spruchband hält, das eine zarte Anspielung auf die »unmuss« des »lieben metzlin«
bringt 1.

Das Figdor-P'ragment, um 1460 entstanden, mißt in der Höhe 0,85 m, in der Breite
1,09 m (Abb. 4). Als Material dienen Wolle und weißes Leinengarn.

Schwerer in der Zeichnung, einfacher in der Brokatierung des Hintergrundes, gibt
sich, der Würde und dem Ernst der Darstellung entsprechend, ein religiöses Fragment
(0,74 m hoch, 1,23 m breit, Wolle, weiße Leinenfäden, Silber im Nimbus des Christus-
kindes): St. Cosmas heilt einen kranken Knaben; St. Damian, sein ärztlicher Kollege,
hält prüfend das Uringlas; auf dem Thronsessel ruht die Madonna, auf dem Schoß das
nackte, stehende Christuskind; St. Johannes mit Hostienkapsel und Buch nimmt seit-
lich Aufstellung. Die Werkstatt arbeitete gleiclifalls in der Schweiz; sie verrät einen
ländlich klösterlichen Betrieb, der inöglicherweise im endenden 13. Jahrhundert im
Aargau blühte.

Von den kleinerenFragmentenverdienen besondere Erwähnung: die metalldurchwirkte
»Wägerin«, der Kampf der guten und bösen Mächte um die Seele des sterbenden
Pilgers (Lazarus?), der »Wolf, der den Gänsen predigt« — alle aus dem Ende des
13. Jahrhunderts — und eine vorzüglich durchgeführte »wilde Frau« (um 1470).

Als Abschluß der Schweizer Bildwirkereien des 13. Jahrhunderts erscheint ein umfang-
reicheres Fragment (0,73 m hoch, 1,52 m breit, Wolle, Ende des 13. Säkulums):
aus stilisierten Wolken, durch die Sterne glitzern, ragt das Haupt Gottvaters in der
Glorie; vor rotem Granatapfelgrund stehen fünf Heilige, Spruchbänder in den Hän-
den; der Kopf einer sechsten Heiligen wird zwischen den beiden letzten Figuren
sichtbar.

Die runden Köpfe der heiligen Frauen, mit den ehrsam bürgerlichen Zügen, erinnern
1 Betty Kurth, a. a. O., Textband, S. 221.

246
 
Annotationen