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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 9
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Goebel, Heinrich: Die Wandteppiche der Sammlung Dr. Albert Figdor
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0275

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Abb. 5. Elsaß, um 1480 Episoden aus dem »Busant«

besonders reiches Stück (Geschichte der Esther) im amerikanischen Kunsthandel 1. Der
Figdor-Behang dürfte um 1510 anzusetzen sein. DerGruppe gemeinsam ist die Freude
am verzierten Kleid, am prunkvollen Fußteppich, am reichen Thronhimmel. Die
Brokatmuster des königlichen Gewandes sind von seltener Feinheit, die Mantelborden
(Königin, Kanzler) elegant in der Zeichnung, harmonischin der Farbengebung. Zweifels-
ohne entstammt der Behang einer der führenden Werkstätten Brüssels — ob Gabriel
van der Tonmen oder Pieter de Pannemaker 2 * 4 *? Rückschlüsse auf den entwerfenden
Künstler sind schwierig. Wahrscheinlich dürfte der van Roome-Orley-Betrieb, mit dem
eine ganze Zahl tüchtiger Cartoniers mehr oder weniger eng verbunden war, auch bei
dem Esther-Behang seine Fiand im Spiel gehabt haben.

Der Hauptnachdruck der Wandteppichsammlung Dr. Albert Figdor liegt auf den
deutschen Wirkereien des i g. Jahrhunderts.

Das Hauptkontinent stellt die Schweiz. Die Bildwirkerei dieses Gebietes hat in den
letzten Jahrzehnten — nicht zum mindesten durch die verdienstvollen und umfassen-
den Yeröffentlichungen von Rud. F. Burckhardt 8 und Betty Kurtli 1 — eine berechtigte,
sich ständig steigernde Wertschätzung erfahren. Kein Wunder! Der SchweizerTeppich
des ig. Säkulums entspricht in höchstem Maße den dekorativen Anschauungen unserer
Zeit; er ist kein in textilem Material kopiertes Tafelbild; er schildert naives frisch-
flutendes Leben, das aus dem Volksempfinden sprudelt, das unmittel'bar zu uns spricht.
Die seltsamen Fabeltiere, die bösartig scheinen wollen, die Basler Jungen und Mädels,
die in der Tracht der wilden Leute ihren Mummensclianz treiben, sind Gestalten aus
einer längst verschollenen, uns aus den Kindheitstagen vertrauten Märchenwelt. Und
doch wollen die Herrschaften, die auf den primitiven Erdhügeln zierlich einherwandeln,
ernst genommen werden. Sie verkörpern bei aller Frische, aller Naivität, das geistige

1 H. Göbel, Wandteppiche, I. Teil, 2. Bd., Tafel 371.

2 H. Göbel, a. a. O., 2. Bd., Tafel 266, 268.

8 Rudolf E. Burckhardt, Gewirkte Bildteppiche des 15. und 16. Jahrhunderts im Historischen
Museum zu Basel. Basel 1923.

4 Betty Kurth, Die deutschen Bildteppiche. Wien 1926. Ein Textband und zwei Tafelbände.

Verlag Anton Schroll & Co.

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