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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 9
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Goebel, Heinrich: Die Wandteppiche der Sammlung Dr. Albert Figdor
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0278
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Abb. 7. Mittelrhein (Hessen), um 1470 Wandteppich mit Wappen

ginnt mit den sechs Szenen im Londoner South Kensington Museum — der Königs-
sohn von England kommt nach Paris, er verliebt sich in die holde Prinzessin von Frank-
reich, die ausgerechnet dem Herrscher von Marokko versprochen ist; die Entführung
der Maid wird vorbereitet, der Prinz spielt als verkleideter Geiger auf der verhaßten
Hochzeit der Geliebten, die Flucht gelingt—5 sie findet ihre Fortsetzung in zwei
Episoden eines Fragments im Kunstgewerbemuseum zu Köln a. Rh. — das Paar rastet
im Wald, der Prinz zieht der Schlafenden zwei Ringe vom Finger und bewundert sie.
Ein Busant stößt herab und raubt einen der Ringe- zornig sucht der Königssohn den
Yogel zu erwischen — und in den anschfießenden Szenen des Figdor-Teppichs — der
Prinz irrt verzweifelt im Wald; er gerät von Sinnen und kriecht wie ein wildes Tier
auf allen vieren (der wilde Mann links mit dem Krönlein auf dem Kopf); die Prinzessin
reitet mit dem ledigen Pferd des Geliebten durch das Gehölz, sie trifft einen Müller
und fragt ihn nach der Herberge. Unschwer verständliche Spruchbänder glossieren
den Vorgang. Fragmente im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum und im Pariser
Louvre (Teilwiederholung des Stückes zu Nürnberg) führen die Erzählung weiter.

Die Zeichnung des Teppichs verrät unbeschwerte Naturbeobachtimg, verbunden mit
seltenem koloristischen Geschick. Das rote Brokatgewand der Königstochter steht in
wirkungsvollem Gegensatz zu dem gelben Fellkleid des Jünglings mit den erschrocken
aufgerissenen Augen — hell leuchtet das Weiß des Leinengarns im Augapfel —, dem
Hellblau des Himmels, dem saftigen Grün der Flora.

Der ausgesprochene Tierteppich ist durch ein reizvolles Stück (0,99 m hoch, 2,86 m
breit, erstes Drittel des ig. Jahrliunderts) — neun durch Bäume getrennte Tiere auf
rotem Grund — vertreten. Zweifelhaft erscheint die Provenienz eines Fragments aus
dem 14. Jahrhundert (Yierpaßfelder rahmen adossierte gelbe Vögel auf blauem Grund,
Fabeltiere auf grünem Fond) — ob Oberrhein, ob Franken?

Einer elsässischen Werkstatt des 16. Jahrhunderts entstammt der 1558 datierte »Pyra-
mus und Tliisbe«-Behang (1,13 m hoch, 1,37 m breit).

Das dritte große deutsche Wirkerzentrum des Mittelalters — Franken 1 — ist mit
mehreren, sehr beachtenswerten Behängen in der Figdor-Versteigerung vertreten. Die
Werkstätten Nürnbergs, des Hauptortes unseres Zweiges textiler Kunst, sind in weit
stärkerem Maße von der gleichzeitigen Tafelmalerei abhängig als die der Schweiz
und des linksseitigen Oberrheins. Die fränkische Bildwirkerei ist, dem Volkscharakter
entsprechend, ernster und schwerer. Einzelheiten — die Erläuterung der Einflüsse
bölimischer und französischer Kunst — führen zu weit.

1 Luitpold_Herzog in Bayern, Die fränkische Bildwirkerei. Text- und Tafelband. München 1926.
Betty Kurth, a. a. O.

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