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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 9
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Goebel, Heinrich: Die Wandteppiche der Sammlung Dr. Albert Figdor
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0279

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Das Fragment (0,90 m hoch, 0,56 m breit, Wolle, Seide, weiße Leinenfäden) mit dem
knienden Stifter (Stifterin?) und dem Wappen der Grafen von Schwarzburg, ist das
Teilstück eines Behanges der ehemaligen Sammlung Sax (Wien); die Hauptszene (Ideilige
Dreifaltigkeit, Maria, Johannes, Engel mit Marterwerkzeugen) eignet lieute dem Lenin-
grader Stieglitz-Museum. Die überschlanke Gestalt des Betenden, die durchgeistigten
Züge des Gesichtes, die zierlichen Bewegungen, die Art der Faltenbehandlung des Ge-
wandes, der vergnügt grinsende Löwe mit der Stupsnase, rücken das Fragment in die
dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts.

Den Übergang zu dem vielleicht bedeutendsten Teppich der Sammlung Figdor (Tod
der Madonna), vermittelt das Antependium »Die heiligen drei Könige vor der Gottes-
mutter« (0,8g m hoch, 2,00 m breit), an den Schmalseiten von einer Stabranke gefaßt.
Ausklang und Höhepunkt der fränkischen Bildwirkerei verkörpert der »Tod Mariä«
(Abb. 6, 0,83 m hoch, 1,63 m breit, Wolle, Seide, Goldfäden, enges Kettfach, Ende
des 1 g. Jahrhunderts). Die Madonna liegt auf dem Sterbebett; die weißen Hände heben
sich plastisch von der meergrünen Decke mit den seidenen orangefarbenen heraldischen
Lilien. Das Antlitz der Gottesmutter ist von mädchenhaftem Reiz. In blauen, weiß-
gelben, grünen Gewändern — die Mäntel (rot, meergrün) kontrastieren in den Farben —
nehmen die Jünger des Herrn arn Sterbelager Aufstellung. Die Köpfe der Apostel sind
von fesselnder Plastik, die Bewegungen von schwerem Ernst. Über dem Ganzen ruht
eine weihevolle wehmütige Stimmung von tiefinnerlichem Gefühl, getragen und be-
ruhigt von dem Ausblick, von der Hoffnung. Die für die fränkischen Wirkereien
typische späte Laubstabbordüre rahmt seitlich das Bild.

Der Zeit um 1500 entstammt ein kleines (Nürnberger) Fragment: »Maria mit dem
Kind vor der Mauer«.

Der Mittelrhein (Hessen) ist durch bedeutsame Wappenwirkereien (auf blauem Grund,
um 1470, Abb. 7) vertreten. Die späteren Manufakturen Westfalens und Nord-
deutschlands sind durch heraldische Behänge (Ende des 16. Jahrhunderts) und Wappen-
kissen charakterisiert (Abb. 8).

Die Wanderung durch das Gebiet des deutschen Wandteppichs, an Hand der Stücke
der Sammlung Figdor, mußte notgedrungen kurz sein. Vielleicht übermittelt sie doch
einen schwachen Abglanz der deutschen Volksseele, des deutschen Kunstkönnens und
Wollens, des ewigen Ringens und Strebens nach Licht und nach Wahrheit.

Abb. 8. Westfalen, Ende des 16. Jahrhunderts Wandteppich mit Wappen
 
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