Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Rosenthal, Erwin: Wandlungen in der italienischen Malerei um 1500: Eigenentwicklung und deutsches Element
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0334
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bewegung eindringen...« »Ein großer deutscher Strom mündet liier in die Kunst des Venezianers...«
Dieser Strom wird noch bis aufs i3. Jahrhundert zurück, bis gegen 1800, weiterverfolgt. Solcher Auf-
fassung gegenüber bleibt uns zu betonen, daß die Bewegung und Flächenbelebung bei Tizian Momente
darstellen, auf deren Erfüllung die nationale Vergangenheit kräftig hinarbeitet, daß wir die Ähnlich-
keiten vielmehr im Äußerlichen sehen, die um so entscheidender auf die tiefsten Verschiedenheiten der
beiden Werke hinleiten. Im Grunde hat die Gebärde Tizians nichts mit dem Norden zu tun, während sie
in einer jahrhundertelangen italienischen Tradition ihre Wurzeln besitzt.

In einem weiteren Bilde Tizians, dem »Triumph der Dreifaltigkeit«, wurde der deutsche Einschlag auch
schon früher betont. Das Wichtige ist aber gerade, zu sehen, wie eine solche kompositionelle Anregung
verhältnismäßig geringfügige Bedeutung für einen Bildner wie Tizian hat. Es darf doch auch nicht,
denkt man an graphische Vorbilder, außer acht gelassen bleiben, daß sich die Vision des großen Malers,
sein »Bild« vom Bilde innerlich ursprünglich als farbiger Aufbau gestaltet — nicht aber als cin
Kompositionsgefüge, dessen Kolorit man sich gleichsam a posteriori »ausdenkt«. Wer möchte glauben,
daß die Konzeption eines Tizian-Bildes getrennt werden könnte von der Dynamik seiner Lichtwirkungen,
von der Magie seiner Farben? Die Gegenüberstellung von Baldung und Tizian, welche Hetzer vornimmt,
reizt aufs äußerste zu einer Seminarübung, wobei Schritt für Schritt zu untersuchen wäre, wie gerade
trotz äußerlicher Erinnerungen zwei völlig getrennti; Welten sprechen; wie beispielsweise das Gotisch-
Verschlungene bei Tizian sofort aufhört und die Hauptgeslalten mit echt italienischer Klarheit heraus-
gehoben werden. Ich würde dieser Seminarübung dann noch die Gegcnüberstellung der Tizianischen
Gloria mit einem italienischen Vorbild anschließen. Ohne im Augenblick nach demBesten suchen
zu können, greife ich nach einer wesentlich früheren plaslischen Arbeit, nach Donatellos Himmelfahrt
Mariae in Neapel. Die frühe Entstehung ist um so wichtiger, als das Moment zeitlich durchgängiger
Ähnlichkeiten hier wegfällt und sich, wie ich glaube, um so besser erweisen läßt, daß selbst zeitlich
weit getrennte italienische Beispiele tiefer Beziehung nicht, entbehren können. Mir scheint die Parallele,
wie der Bewegungszug der Gestalten, von oben einsetzend, das Zentrum umkreist und wieder nach oben
mündet, viel wichtiger als die zwisclien Tizian und Baldung, wo eben gerade alles Wesentliche ver-
schoben ist. Immer noch im Sinnc Donatellos kommt Tizian eben auch nicht von der Betonung der
Mittelachse los, während bei Baldung gerade die exzentrische Verschiebung das Wichtigste ist. Und
wenn gerade die Hauptfigur bei Baldung in einer Verschränkung gesehen ist, daß man erst Mühe hat, sie
abzulesen, ja nach dem Haupt Christi geradezu suchen muß, so hält es Tizian noch immer mit Dona-
tello in der Klärung des Plastischen und der Silhouette seiner schwebenden Ilauptfiguren.

An einem Doppelbeispiel Iletzers möge nochmals manches Prinzipielle klar werden, an der Gegenüber-
stellung des berühmten Giorgione-Bildes »La Tempesta« mit dem Dürerschen Apokalypseschnittvon Jo-
hannes, der das Buch verschlingt (Abb. 9, 10). Nehmen wir zunächst die Ähnlichkeit der Bildorganisa-
tion beider Werke möglichst ernst - obwohl sofort ins Auge springt, daß gerade trotz dieser Ähnlich-
keiten Nord und Siid sicli in krassem Gegensatz ausspreehen! Für die gleichen Klänge nun, welche da
und dort gefunden werden, gibt es diese Erklärung: Das Cinquecento entwickelt sicli im Sinn subjektiver
Durchfühlung des Bildganzen iin Gegensatz zu einer rationalen Umgrenzung der einzelnen Bildteile. Die
nationale Entwicklung strebt also nach Lösungen, welche in der von der deutschen Kunst eingeschlage-
nen Wegrichtung liegen. Die gleichen geistigen Voraussetzungen werden daher zu verwandten Lösungen
drängen, die Hetzer in zusammenhängender Silhouelte, Schräge und Gegenschräge, Vereinheitlichung,
Bewegungsstrom erblickt. Fürs andere aber sind kompositionelle, bildrhythmische Gesichtspunkte aus
der Gleichzeitigkeit heraus zu verstehen; so das Zusammengehen der Figur mit einer Baumkulisse im
Sinne stärkeren organischen Zusammenschlusses, als dies im i5. Jahrhundert der Fall war. (Wobei die
Gegenüberstellung am schärl'sten erweist, wie unbedingt klar noch immer die Trennung bei Giorgione,
wie ausgesprochen eine »gotische« Verbindung bei Diirer ist!) Ein Cefühl für die Figur und den Baum
als gleichwertige organische Scliöpfungen, wie es Dürer in dem Apokalypseblatt kundgibt, kennt eben
auch die frühere deutsche Kunst nicht. Dürer hat in diesem Punkt ebenso die Vergangenheit verlas-
sen, sie jedenfalls revolutionierend umgestaltet, wie der Italiener es mit der seinigen tat. Dürer hat Vor-
stufen ebenso wie der Italiener im eigenen Lande gehabt — aber jetzt geht der eine wie der andere
über diese hinaus. Man sieht an Hetzers Parallelstellungen deutlich, daß sie da, wo Gleichzeitigkeit
herrscht, wie eben bei Giorgione und Dürer, zum Nachdenken auffordern; geht man aber weiter zu
einer Gegenüberstellung von Tizians Bischof Pesaro mit einem deutschen Bild von ca. 1 V>o oder auch
noch der Treviso-Verkündigung Tizians mit der Verkündigung Schongauers, so verringert sich sofortdie
Glaubwürdigkeit seiner These stark, und es handelt sicli nur noch um äußerliche Ähnlichkeiten, welche
fiir ein tieferes geistiges Zusammengehen nicht zu zeugen vermögen. Nicht anders als paradox vermag
ich in diesem Sinne die Zusammenstellung des Perseus-Andromeda-Bildes Tizians mit dem C-Buchstaben
des Meisters E. S. zu empfinden.

Schließen wir mit der Gegenüberstellung eines Tintoretto-Bildes, der Errettung des Sklaven mit einem
von Altdorfer gezeichneten Studienblatt: Die Zusammenstellung erscheint uns, durchaus von außen

304
 
Annotationen