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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 11
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Rosenthal, Erwin: Wandlungen in der italienischen Malerei um 1500: Eigenentwicklung und deutsches Element
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0333

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Abb. 7. Dürer. 1521. B. 52 Der hl. Christophorus Abb. 8. Tizian. 1523

kauernden Madonna vollkommener als irgendein anderer — italienischer oder deutscher — Künstler
zur höchsten Einheit zusammenschmolz.

Ich liabe mich auf wenige Beispiele aus der Malerei beschränkt. Es ist selbstversländlich, daß das Urteil
über den geistigen Zustand der Kunst die Beobachtung aller Kunstgattungen verlangt. Ilier mag nur
ein Name aus der Plastik genannt sein: Donatello. Wenn man mit Hetzer das Quattrocento immer
wieder auf seine »Objektivität«, seine Statik, seine Bühnenhaftigkeit, seinen Wechscl von vertikal und
horizontal hin sieht, so könnte man damit diesem für das i5. Jahrhundert so bedeutsamen Meister nie-
rnals gerecht werden. Es ist nicht alles getan, wenn man in den Kompositionen der paduanischen Bron-
zen das parallele Schichten von Figurenreihen sielit. Man muß sehen, wie sich Gruppen ballen (Rimini-
Wunder, Herz des Geizigen), muß anerkennen, wie sich in einer Gruppe der »Beweinung Christi« (South
Kensington Museum) Komposition und seelischer Gehalt durchdringen. Der Quattrocentokünstler, wel-
cher in Florenz an Donatellos Statue von Judith und Ilolofernes vorbeiging, konnte keinerlei Zweifel
mehr haben, daß die regelhafte Schönheit der plastischen Gesetze nur die eine Seite der Kunst ausmachte
und die anderc ein rücksichtsloses Schaffen aus dem Leben und um des Lebcns willen bcdeutete. Und wie
er an den Sockelreliefs dieser Gruppe fand, daß jedes Kalkül hinter der Wirkung der lebendigen Ener-
gien zurückschwand, so konnte er an den späten Kanzelreliefs den ganzen Sieg subjektiver Bildgestal-
tung über »klassische« Maßhaltung erkennen. Soll man es vielleicht deutsch oder auch nur unitalienisch
nennen, daß in der Ilimmelfahrt Christi eine Gruppe zusammengeschweißt wird, der es ganz und gar
nicht mehr auf das Betonen jeder einzelnen Figur ankommt? Soll man für die Ausgießung des heili-
gen Geistes oder für den Ölberg deutsche Vorbilder suchen? Sicherlich nicht. Vielmehr spricht eben hier
unzweideutig ein anderes Pathos als rationales Florentinertum, eine andere seelische Energie, aber dar-
um nicht eine minder italienische.

Wir glauben also, daß vicl mehr Wesenszüge der italienischen Kunst des 16. Jahrhunderts aus ilalie-
nischer Tradition herausgelesen werden können und die Wirkung des »deutschen Elements« viel geringer
zu veranschlagen ist, als dies Hetzer anzunehmen gencigt ist. In den Abhandlungen über Leonardo,
Michclangelo, llaffael, Tizian und Correggio sollte uns seine These am eindringlichsten klargemacht
werden. Aber gerade vor den Werken der Größten ergreift uns das Mißlrauen, wenn die Überbetonung
von Beziehungen den Blick für das eigentliche Wesen des Kunstwerkes trübt. Stellt man einen Dürer-
Stich mit der Darstellung des hl. Christophorus neben das dcn gleichen ITeiligen darstellende Bild
Tizians (Abb. 7, 8), so soll nach dem Wunsch ITetzers uns klar werden, wie bci Tizian in »die altüber-
kommene italienische Statik . . . die nordischen Prinzipien der Zentralisation, der expansiven, diagonalen

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