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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 11
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Rosenthal, Erwin: Wandlungen in der italienischen Malerei um 1500: Eigenentwicklung und deutsches Element
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0332

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Abb-5- Ghirlandaio. 1490 Der Tempelgang Mariae Abb. 6. Tizian

Figur und Mantelsilhouette wie zu einem ornamentalen Zusammenschluß gelangt. Der Raum zur Linken
ist so ganz funktionell Weiterführung des nach oben streichenden Bildstroms, daß man mit Hetzer sagen
möchte: Es könnlen ebensogut dort oben Figuren, beispielsweise Putten, erscheinen und denselben Dienst
am Bilde verrichten. — Ja, hat man, so könnte man fast fragen, überhaupt in Deutschland eine so weit-
gehende rliythmische Yereinigung von Figur und Landschaft gekannt, wie sie schon vor i5oo in Italien
möglich war? Man stehe einen Augenblick vor der Leonardo zugeschriebenen Yerkündigung in den
Uffizien. Wie weise ist eine Reihe von Bäumen so geordnet, daß sie rhythmisch als ein Ausklang der
knienden Figur des Engels empfunden wird, und wie wesentlich ist das Verschmelzen der Marienfigur
init der ihr zugehörigen Architektur! Ich wiißte nicht, wo gleichzeitig in Deutschland solcher Sinn tie-
fer erfaßt, vollkommener gestaltet worden wäre. — Endlich die Madonna Doni des Michelangelo: Soll
wirklich ein kleiner Wappenstich Schongauers mehr bewirkt haben als die ganze Kette der ins Tondo
komponierten Quattrocentodarstellungen verschiedener Künstler, fortlaufende Beispiele einer aus inner-
sten Grtinden weiterschreitenden Wandlung des künstlerischen Schauens?

Eine Andeutung noch zum Thema der Gruppe. Es soll auch so, wie es das Cinquecento auffaßt, also
in der Vereinheillichung mehrerer Körper zu einer Ganzheit, vor allem an der deutschen Graphik er-
kannt worden sein. Die aus Tizians Tempelgang der Maria vonlletzer abgebildeten nebeneinander schrei-
tenden Gestalten, die einheitlich gesehen und kontrastierend bewegt sind (Abb. 6), werden mit einem
Dürer-Sticli zusammengestellt. War wirklich solche Vermittlung nötig? Wo liegt der wesentliche Unter-
schied zwischen jener Tizianschen Gruppe und beispielsweise dem heiligen Elternpaar Marias auf dem
Fresco des Tempelgangs von Ghirlandaio in Santa Maria Novella? (Abb. 5.) Ifetzer bezeichnet als das
Verbindende zwischen Tizian und Dürers Stich des Bauernpaares: »Motivische Ähnlichkeit, Einheit der
Gruppe . . . Der optische Iteiz der kontrastierenden Formen.« Ilätte ITetzer den Ausschnitt aus Ghirlan-
daio neben Tizian gestellt, er hätte ruhig jedes Wort stehen lassen können. Freilich bringt Tizian eine
Klärung und Weiterentwicklung des Motivs; was aber wahrlich nicht durch das Dazwischentreten des
iiber 4o Jahre vor Tizians Bild gefertigten »gotischen« Dürer-Stiches erwirkt ist. Ein halbes Jahrhundert
italienischer, speziell venezianischer Malerei übernimmt die Verantwortung. — Und schuf Verrocchio
(mit Leonardo) nicht auf dem Bilde der »Taufe Christi« (Florenz) mit den beiden knienden Engeln
eine einprägsäme »Gruppe«? Oder wachsen niclit auf Mantegnas »Schmerzensmann« (Kopenhagen)
zwei Engel gleichsam aus dem Stamm des Christuskörpers heraus, mit ihm in künstlerischer Einheit
verflochten? Und Mantegna war es, der das Motiv von Mutter und Kind in seinem Kupferstich der

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