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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 11
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Rosenthal, Erwin: Wandlungen in der italienischen Malerei um 1500: Eigenentwicklung und deutsches Element
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0331

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Abb. 4. Raffael Der ßrand von Borgo. 1514/17

figur zusammen mit dem Kontur ihres Mantels gesehen, nicht gerade eine »ornamentale« Einheit, wie
solche besonders in Deutschland heimisch sein soll? Ebendaher leitet Hetzer das Gefühl des Cinque-
cento für die Einheit von Figur und Landschaft ab; in dem Bild Botticellis tritt die Isoliertheit von
Landschaft und Figur aber auch schon stark zurück gegenüber einer unverkennbaren Yereinheit-
lichung der beiden Elemente. Betont auch Hetzer immer wieder, wie im Sinn einer Bühne Figur und
Grund zweierlei Angelegenheiten bleiben, so scheint mir doch für deren Vereinheitlichung das Quattro-
cento überhaupt sehr reichlich vorgearbeitet zu haben. Man denke an die unlösliche Yerbindung von
Madonnenfiguren mit dem Nischenthron- oder Baldachinhintergrund, das Aufsetzen von Figuren und
ganzen Figurengruppen auf Landschaftsteile und Architekturkulissen. Solch Ineinanderspiel mag man
bei Benozzo Gozzoli empfinden, mag Cosimo Turas Pietä und Verkündigung oder letztere Szenc des
Pietro Pollaiuolo auf die enge Verwobenheit von Figur und dazugchörigen Gründen betrachten; oder
man denke daran, wie Mantegna in San Zeno seine Apostel durch ragende Pfeiler stützte, wie er die
Madonna vor der Grotte (Florenz) als eine ausgesprochene Einheit von Figur und Landschaft kompo-
nierte. Natürlich entwickelt sicli im Laufe der Jahrzehnte ein neues Wertverhältnis zwischen Figur und
Landschaft. Es entwickelt sich eben im Sinne der gesamten künstlerischen Weltanschauung, wobei
deutsche Anregungen im 16. Jahrhundert durchaus mitsprechen werden. Aber man übersehe dochnicht,
daß dieser Wandel der Grundanschauung an nationalen Beispielen bereits eine weitgehende Deutung fin-
det und mache für ihn nicht in erster Linie »das deutsche Element« verantwortlich. Wenn es in Tizians
Verkündigung besonders »deutsch« sein soll, daß »der llaum motivisch den Vorgang verdeutlichend«
wirkt, so sehe ich nicht ein, warum man nicht gleiches von Peruginos Verkündigung in Perugia sagen
kann. Tizian mag sich dem Deutschen mehr nähern als Perugino es tut — deshalb aber, weil er in sei-
nem Weltsehen deutschen Lösungen nälier kommt. — Endlich vergesse man niclit die auch von Iletzer
wiederholt betonte Tatsache, daß das Trecento in der Malerei der Hochrenaissance eine neueBolle zuspie-
len beginnt. Wie inhaltsschwer aber ist bei Giotto die Bindung zwischen Ilandlung und Baum!

Ich erinnere noch an zwei Bilder Botticellis im Zusammenhang mit Tizian und Ilaffael. Die Darstel-
lung der »Drei Lebensalter« Tizians (London) hat in der Art, wie die beiden Seitengruppen eines Längs-
bildes mit der Landschaft zusammenkomponiert sind, ein gewisses Vorspiel in Botticellis »Venus und
Mars« (ebenfalls London [Abb. 1,2]). Sodann vergegenwärtige man sich Botticellis berühmte »Ver-
leumdung des Apelles« (Abb. 3): Ilier gibt es, wenn ich überhaupt Hetzers Wort recht verstehe, wirklich
eine »Figurengirlande«. IJier fchlt es nicht an Bewegungsstrom, an Bichtungsschrägen und zusammen-
geballter Gruppe. Wenn man nun solche Eigenschaften an Raffaels Brand von Borgo (Abb. 4) schildert
— warum dann nicht zu diesem Bild des Botticelli oine Linie zurückführen? Warum sich dabei nur
Dürers erinnern? Freilich wirken sicli die Kompositionen bei Botticelli mehr in Ebenen, die des Raffael
in einer neuen Baumtiefe aus. Der Weg zu diesem »subjektiven« Baum aber ist in der geistigen Eigen-
entwicklung der italienischen Kunst streng vorgezeichnet.

Ich denke an ein weiteres Bild, an Filippino Lippis »Allegorie der Musik« (Berlin), welches mir wie ein
Schulbeispiel für Diagonalkomposition erscheint, die so durchaus deutsch sein soll. Hier ist auch wieder

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