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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 15/16
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Jatho, Carl: Die Kölner Grünewalds
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0447
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VON CARL JATHO

DIE KÖLNER GRÜNEWALDS

Wer Köln lange genug kennt, entsinnt sich dieser Bilder nocli. Sie hingen in dem Saal-
trakt des Wallraf’-Richartz-Museums, wo mit dem Meister des Todes Mariae und dem
älteren Bartholomaeus Bruyn die kölnisch-mittelalterliche Welt zur Rüste ging. Trotz
ihrer physiognomischen Defekte, die, wie Buchner einwandfrei gezeigt, durch spätere
grobe Retouchen (vermutlich des 19. Jahrhunderts) verursacht waren, wußten sie da-
mals den Blick des Beschauers immer wieder seltsam zu fessefn und zwar lebhafter
als etwa die tüchtig gemalten Biedermänner eines Bruyn. Ihr Verschwinden in der
Depotversenkung kann nur aus ihrem damals verwahrlosten Zustand erklärt werden.
Das Wunder ihrer Reorganisation (keinerlei Aufschönung!) volfbrachte Buchner mit
Hilfe eines nach Köin gerufenen Münchener Restaurators. Doch ehe es dahin kam,
mußte der eigentliche schöpferische Akt erfolgen, darin bestehend, daß Buchner die
psychologische Sonderung von späterer, durch Pinselzutat verwirrter und ursprüng-
licher Bildgestalt rein diagnostisch vornalim und zu der inneren Gewißheit gelangte,
daß hier unter trügerisch banalem Schein der »Spielmann« fiegen müsse.

Was für ein Spielmann —? Zur Beantwortung dieser Frage glaubte Buclmer neben
stilkritischen Anhaltspunkten wichtige Fingerzeige in der Person der Dargesteliten und
ihren gesellschaftlich-politischen Beziehungen gewonnen zu haben. Aus der alten Be-
schriftung der Rückseite der Tafeln war zu entnehmen, daß es sich in den heiden Dar-
gesteilten um die Grafen Thomas und Johann von Rieneck handele. Graf Thomas, von
beiden die höhere Intelligenz, war Domherr in Köln, Straßburg und Mainz, auch eine
Zeitlang in Würzburg. Als Dechant von St. Gereon in Köln und Achterdekan des
Kölner Domes hat er entscheidende Schritte getan gegen den Versuch der Einführung
der Reformation in Köln durch den abtrünnigen Kölner Erzbischof Hermann von Wied.
Dieser hohe Kleriker und einilußreiche DiplomatThomas war der Vertraute desMainzer
Erzbischofs Albrecht von Brandenburg, dessen Hofmaler Grünewald war.

Die Möglichkeit der Zuweisung beider Tafeln an Grünewald sollte nach Reinigung der
über Erwarten gut herausgekommenen Bilder für Buchner auf Grund der angestellten
stilistischen Vergleiche zur Wahrscheinlichkeit, ja zur Notwendigkeit werden. »Der
stilistische Zusammenhang mit gesicherten Arbeiten Grünewalds, vor allem mit dem
Freiburger Maria Schnee-Bild und den Kopfstudien (Zeichnungen) ist so eng, daß kein
anderer Maler für die beiden ungewöhnfichen Bildnisse, deren zwingende und durch-
geistigte Charakteristik ebenso überrascht wie die magistrale Malerei, inFrage kommen
kann.« Eine eingeliende Würdigung der Tafeln und eine ausführliche Begründung der
Zuweisung an Grünewald verspricht uns Dr. Bucliner im diesjährigen Band des Wallraf-
Richartz-Jahrbuchs, der in Bälde erscheinen muß.

Da Buchner die Naumannsche Hypothese vom Selbstbildnis des zwanzigjährigen Mathis
Nithart aus dem Jahre 1475 verwirft, so sind es für ihn die ersten selbständigen Bildnis-
tafeln, die wir von Grünewald kennen, und sie wären nach ihm auf Grund formaler
und biographischer Erwägungen in die Zeit um 1520 zu setzen.

Die Hypothese Grünewald beiseite — wo wären um diesen welthistorischen Zeitwende-
PunktPorträtsentstanden,die anEmpfindlichkeit undSchwingbarkeitdesKonturs,anReife
der zeichnerischen und malerischen Erfassung des existenzhaft Menschlichen, durch ein
Nichts an äußeren Mitteln und ein Alles an innererWirkung die beiden Kölner Bilder über-
träfen? Der gleich benachbart hängende neue Cranach der Sigmaringer Sammlung, ein
gutes Bildnis, ist handf estes Unvermögen neben dem hochmögenden Meisterer der mensch-
lichen Seefe, der mit einem zitternd mitfühlend feinen Strich ein Lippenpaar zu einem
Abgrund des Grams und der Bitterkeit öffnet, der unter einem Schattenhauch von Braue
und einer blauen Andeutung von Iris uns das Schicksal eines Lebens lesen läßt, einsam und
einzig und doch so allgemein wie unser aller Wahn und sich fortzeugendes Leid.

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