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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 17/18
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Schmidt, Paul Ferdinand: Walter Gropius
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0502
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A


Walter Gropius Schuhleistenfabrik »Faguswerk« Alfeld a. d. L.

Glashaut sind seine ureigenste Schöpfung, und schon fühlt ,mari auch im Gesamtein-
druck die Vorherrschaft der Horizontalen mit flachen Gesimsstreifen und Flachdach.
Dieser Bau hätte auch 1925 Epoche gemacht, und der Auftraggeber liat recht, noch
heute sich seines Anteils an dieser bahnbrechenden Schöpfung zu rühmen. Denn was
sind alle Entwürfe ohne den vorurteilslosen Bauherrn, der den Mut besitzt, sie aus-
führen zu lassen! WasWertheim für Messel, was Osthaus und die A. E.G. für Behrens,
ist Karl Benscheidt für Gropius gewesen.

Die nächste Stufe war die Werkbundschau in Köln 1914. Die Werkbundleitung
tat damals ihren besten Griff, als sie Gropius mit der Errichtung eines Bürohauses und
einer Maschinenhalle beauftragte. Sie bedeuteten nicht in allen Stücken einen Fort-
schritt gegenüber denFaguswerken. Eisenkonstruktion und Glashaut stoßen mit Ziegel-
fassaden und Repräsentationsbedürfnissen unsanft zusammen, aber die Kühnheit der
freitragenden Treppenspindeln in einem offenen Glasgehäuse und die Ausnutzung des
flachen Daches zu Tanzterrassen bei dem Bürohaus sind Taten einer unbestreitbaren
Pioniergesinnung, deren Folgen sich heute erst richtig auswirken und sogar Le Cor-
busiers beste Ideen vorausnehmen.

Nach der unfruchtbaren und unfreiwilligen Pause des Krieges begann Gropius den
Neuaufbau von einer ganz anderen Seite her, als Leiter des Weimarer Bauhauses.
Ideell liatte er zweifellos recht, von kollektiver Zusammenarbeit einer Schule für alle
tektonischen Künste das Größte zu erwarten. Praktisch ist, vor allem durch Schuld
der unglückseligen politischen Mißverhältnisse in Deutschland, so wenig dabei heraus-
gekommen, daß man die übermenschlichen Anstrengungen von Gropius in Weimar
nur als Raubbau an seinem Talent bezeichnen kann, das viel zu wertvoll ist, um sich
in so unfruchtbaren Kämpfen mit einer Spießbürger-Bürokratie aufzureiben. In Dessau,
wohin das Bauhaus 1926 übersiedelte, wurde es zwar besser, und wir verdanken der
Energie des dortigen Oberbürgermeisters wenigstens die klaren Lösungen der Schul-

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