Knechtsteden: abteikirche.
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die übrigen elf Apostel verteilen sich auf dem Streifen unter der Koncha zwischen den Fenstern, wie
in Knechtsteden, und auf die Längswände des Chorhauses31.
Wenn in Frankreich in den Wandgemälden des 11.—-13. Jh. das Motiv des thronenden Christus
zwischen den Evangelistensymbolen scheinbar nicht die gleiche dominierende Rolle spielt wie in Deutsch-
land, so kommt es dafür um so reichlicher auf den Kirchenportalen in plastischer Sprache vor. Gleich
bei den beiden großen Portalschöpfungen, die für die ganze romanische Zeit am stärksten schulbildend
gewirkt haben, an St. Trophime zu Arles und an der Kathedrale zu Chartres, tritt die Komposition ganz
abgerundet, geschlossen auf, wie das Resultat einer langen Entwicklung. Vor allem die weise Massen-
verteilung und der bewußte Rhythmus der Linien, wie sie uns in Chartres entgegentreten, konnten kaum
überboten werden - - großartiger ist diese Erscheinung nie wieder vorgeführt worden. Und wie die Dar-
stellung dann, auf das Thema des Jüngsten Gerichts zugeschnitten, auf den Portalen der französischen
Kirchen einer der Lieblingsstoffe wird, das hat jüngst von der Mülbe eingehend ausgeführt32.
Man könnte die Frage erörtern, ob hier die Malerei die Plastik oder die Plastik die Malerei beeinflußt
habe. Es kann aber kein Zweifel sein, daß hier die Malerei die gebende ist, wenn auch deren älteste monu-
mentale Schöpfungen naturgemäß fast sämtlich untergegangen sind. Die ganze Anordnung ist eine
malerische, die eine vielleicht nicht bewußte, aber sicherlich deshalb nicht weniger strenge Rücksicht
auf die Fernbildwirkung nimmt. Die Linienführung bei den Hauptfiguren stammt ursprünglich aus der
Zeichnung. Und wenn etwa in Autun und in Martel der thronende Christus beide Arme mit den offenen
Handflächen nach vorn gekehrt gesenkt hat, so darf man darauf hinweisen, daß das die Malereien von
St. Georg auf der Reichenau wie von Montoire auch schon zeigen — und die Darstellung mit den
symmetrisch in Schulterhöhe erhobenen Händen in Laon, Chartres, Amiens, Reims findet ihr Vorbild
in Burgfelden wie in Saint-Savin und in Saint-Chef.
Die besondere kunstgeschichtliche Bedeutung der Malereien von Knechtsteden liegt darin, daß sie
in einer ausnehmend frühen Gestalt und in einer noch in vielem harten und primitiven Formensprache
dies Motiv zeigt. Die Darstellung ist früher als eine der'sonst in Deutschland bekannten anzusetzen -
denn das von ihren "Entdeckern viel zu früh datierte Apsidialgemälde in St. Peter und Paul zu
Reichenau-Niederzell ist auch erst nach jenem anzusetzen33.
31 H. Schmitz, Die mittelalterliche Malerei in Soest
S. 89. — Zs. f. Christi. Kunst 1905, Sp. 353.
32 W. H. v. d. Mülbe, Die Darstellung des jüngsten
Gerichts an den romanischen und gotischen Kirchenportalen
Frankreichs, Leipzig 1911.
33 Künstle u. Beyerle, Die Pfarrkirche St. Peter und
Paul in Reichenau-Niederzell und ihre neuentdeckten Wand-
gemälde, Freiburg 1901. Künstle, Die Kunst des
Klosters Reichenau im 9. und 10. Jh., Freiburg 1906, S. 15.
Ich kann mich auch der an dieser letzten Stelle gegebenen
Begründung nicht anschließen, nach der die Malereien in
St. Georg zu Oberzell dem 9., die Malereien zu Burgfelden
dem 10., das Apsisbild von Niederzell dem 11. Jh. angehören
sollen.
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die übrigen elf Apostel verteilen sich auf dem Streifen unter der Koncha zwischen den Fenstern, wie
in Knechtsteden, und auf die Längswände des Chorhauses31.
Wenn in Frankreich in den Wandgemälden des 11.—-13. Jh. das Motiv des thronenden Christus
zwischen den Evangelistensymbolen scheinbar nicht die gleiche dominierende Rolle spielt wie in Deutsch-
land, so kommt es dafür um so reichlicher auf den Kirchenportalen in plastischer Sprache vor. Gleich
bei den beiden großen Portalschöpfungen, die für die ganze romanische Zeit am stärksten schulbildend
gewirkt haben, an St. Trophime zu Arles und an der Kathedrale zu Chartres, tritt die Komposition ganz
abgerundet, geschlossen auf, wie das Resultat einer langen Entwicklung. Vor allem die weise Massen-
verteilung und der bewußte Rhythmus der Linien, wie sie uns in Chartres entgegentreten, konnten kaum
überboten werden - - großartiger ist diese Erscheinung nie wieder vorgeführt worden. Und wie die Dar-
stellung dann, auf das Thema des Jüngsten Gerichts zugeschnitten, auf den Portalen der französischen
Kirchen einer der Lieblingsstoffe wird, das hat jüngst von der Mülbe eingehend ausgeführt32.
Man könnte die Frage erörtern, ob hier die Malerei die Plastik oder die Plastik die Malerei beeinflußt
habe. Es kann aber kein Zweifel sein, daß hier die Malerei die gebende ist, wenn auch deren älteste monu-
mentale Schöpfungen naturgemäß fast sämtlich untergegangen sind. Die ganze Anordnung ist eine
malerische, die eine vielleicht nicht bewußte, aber sicherlich deshalb nicht weniger strenge Rücksicht
auf die Fernbildwirkung nimmt. Die Linienführung bei den Hauptfiguren stammt ursprünglich aus der
Zeichnung. Und wenn etwa in Autun und in Martel der thronende Christus beide Arme mit den offenen
Handflächen nach vorn gekehrt gesenkt hat, so darf man darauf hinweisen, daß das die Malereien von
St. Georg auf der Reichenau wie von Montoire auch schon zeigen — und die Darstellung mit den
symmetrisch in Schulterhöhe erhobenen Händen in Laon, Chartres, Amiens, Reims findet ihr Vorbild
in Burgfelden wie in Saint-Savin und in Saint-Chef.
Die besondere kunstgeschichtliche Bedeutung der Malereien von Knechtsteden liegt darin, daß sie
in einer ausnehmend frühen Gestalt und in einer noch in vielem harten und primitiven Formensprache
dies Motiv zeigt. Die Darstellung ist früher als eine der'sonst in Deutschland bekannten anzusetzen -
denn das von ihren "Entdeckern viel zu früh datierte Apsidialgemälde in St. Peter und Paul zu
Reichenau-Niederzell ist auch erst nach jenem anzusetzen33.
31 H. Schmitz, Die mittelalterliche Malerei in Soest
S. 89. — Zs. f. Christi. Kunst 1905, Sp. 353.
32 W. H. v. d. Mülbe, Die Darstellung des jüngsten
Gerichts an den romanischen und gotischen Kirchenportalen
Frankreichs, Leipzig 1911.
33 Künstle u. Beyerle, Die Pfarrkirche St. Peter und
Paul in Reichenau-Niederzell und ihre neuentdeckten Wand-
gemälde, Freiburg 1901. Künstle, Die Kunst des
Klosters Reichenau im 9. und 10. Jh., Freiburg 1906, S. 15.
Ich kann mich auch der an dieser letzten Stelle gegebenen
Begründung nicht anschließen, nach der die Malereien in
St. Georg zu Oberzell dem 9., die Malereien zu Burgfelden
dem 10., das Apsisbild von Niederzell dem 11. Jh. angehören
sollen.