brauweiler: kapitelsaal-
393
Diese Szene deutet Reichensperger90, dem auch aus'mWeerth sich anschließt, wie folgt: ,,Die Stellung
der beiden Figuren so wie ihre Bewegungen berechtigen zu der Annahme, daß der Heilige den Verlockungen
zur Sinnlichkeit und Wollust und überhaupt den Versuchungen, welche das christliche Altertum bekannt-
lich unter dem Bilde des Centauren symbolisiert hat91, sich zu entziehen, überhaupt der Welt Lebewohl
zu sagen im Begriffe steht. Falls die Vermutung, daß das Bauwerk zur Seite des Heiligen die, früh
schon in eine christliche Kirche umgewandelte Porta nigra darstellt, begründet ist, scheint es mir kaum
noch einem Bedenken zu unterliegen, daß hier der h. Simeon dargestellt ist, welchen Erzbischof Poppo
im Beginne des 11. Jh. aus dem Gelobten Lande mitbrachte, und welcher sich in der später nach ihm
benannten Porta nigra lebendig in einem engen Raum einmauern ließ, „um seiner großen Innigkeit und
Liebe willen, die er zu Gott hatte"92, im J. 1035, nachdem er eine lange Zeit in dieser künstlich
geschaffenen Höhle zugebracht, dort starb.
Die Vita S. Simeonis monachi Trevirensis ab Everwino abbate S. Martini Trevir. conscripta93
kennt aber keine Begebenheit im Leben des Mönches, die auf unsere Darstellung Bezug haben könnte.
Der mit der Inschrift treviris versehene Bau aber gehört offenbar zu der Szene im Nebenfeld, mit der
allein ihn das aus dem Tor hervorgehende Spruchband in Beziehung setzt. Das Bild paßt vielmehr genau
auf eine Episode aus dem Leben des h. Antonius94. Die Vita S. Pauli primi eremitae berichtet bei Erzäh-
lung der Abenteuer, die der h. Antonius unterwegs erlebt, als er den h. Paulus eremita sucht, von folgender
genau zu unserem Bilde passenden Begegnung des h. Antonius mit einem H i p p o -
centauren: .... venerabilis senex (sc. Antonius) infirmes artus baculo regente sustentans, coepit ire velle,
quo nesciebat (er war also ,in solitudine errans'). Et iam media dies, coquente desuper sole, fervebat: nec
tarnen a coepto itinere abducebatur, dicens: Credo in Deum meum, quod servum suum, quem mihi
promisit, ostendet. Nec plura Iiis, conspicit hominem equo mixtum, cui opinio poetarum Hippocentauro
vocabulum indidit. Quo viso, salutaris impressione signi armat frontem et Heus tu, inquit, quanam in
parte hic servus Dei habitat? At ille barbarum nescio quid infrendens et frangens potius verba quam
proloquens, inter horrentia ora senis blandum quaesivit alloquium et dexterae protensione manus cupitum
indicat iter et sie patentes campos volucri transmittens fuga, ex oculis mirantis evanuit.
Im N o r d f e 1 d ist nach der Restauration folgende Szene dargestellt. Mit dem Rücken an das
Gebäude gelehnt, sitzt ein Mönch mit Tonsur, bartlos, barfuß, in gelblich-bräunlicher Kutte, die Beine
gerade ausgestreckt. Er nimmt mit beiden Händen ein mit Hemdchen bekleidetes Kind - - bei aus'm
Weerth95 hält es ein Täubchen - - in Empfang, das eine im Zwickel stehende Frau in langem, knappem,
gelblichem Kleid und Kopftuch ihm darreicht. Diese steht vor einem hohen roten Tauf(?)Kessel —jetzt
sieht dieser Gegenstand wie ein in dem blauen Grunde schwebender roter Mühlstein aus - - mit breiter
Brüstung96. Hinter demselben wird die Halbfigur eines bärtigen Bischofs mit Mitra und Nimbus sichtbar,
der die Rechte segnend der Frau auf die Schulter legt und die offene Linke im Redegestus erhebt. Auf
einem von dem Bischof hinter dem Mönch her in das Mitteltor laufenden Spruchband ist eine Aufschrift
nicht mehr vorhanden. Hohe, dessen Zeichnung mit dem restaurierten Bilde übereinstimmt, gibt von
der zweizeiligen Aufschrift, die hier über die Brust des Sitzenden und Brust und untere Gesichtshälfte
des Kindes hinweggeführt ist, einige Reste von Buchstaben, bei Rüben (Taf. XXV) läuft das Spruchband
90 a. a. O. S. 101 f.
91 Über die symbolische Bedeutung des Centauren vgl.
eingehend Ferd. Piper, Mythologie u. Symbolik d. christl.
Kunst I, S. 394. — J. kreuser, Wiederum christlicher
Kirchenbau. ApostolischeBaugesetze, Symbolik-Vorlesungen,
Brixen 1868, I, S.319. - Cabrols Dictionnaire II, 2, p. 3249.
92 Bei Surius, De vitis sanetorum ab Aloysio Lipo-
mano conscriptis, Mai. Vollständig in Acta Sanetorum Bol-
land. 1. Juni I, S. 89—106.
93 Reichensperger S. 107, Anm. 1 denkt ganz richtig schon
an diese Legende.
94 Hieronymi vita S. Pauli primi eremitae c. 7 (Migne,
Patrologia ser. lat. XXIII, p. 22). Die Stelle schon bei
Piper a. a. O. erwähnt. Dieselbe Deutung selbständig bei
Ildefons Herwegen, Zur Ikonographie des Kapitelsaales zu
Brauweiler: Annalen d. hist. Ver. f. d. Niederrhein 92, 1912,
S. 122.
95 Taf. XII, Nr. 23.
96 Die Annahme, der Bischof und die andere Figur stän-
den in dem Taufbecken, ist durch die Konturzeichnung ver-
anlaßt worden. Der Künstler hat nämlich, wie es für die
Erlangung richtiger Verhältnisse bei ähnlicher Veranlassung
häufig geschieht, zuerst die ganzen Figuren konfluiert und
dann die Linien des Taufbrunnens darüber gezeichnet. Bei
Rüben findet sich die kleine Taube in den Händen des
Kindes nicht, ebenso wenig bei Hohe, der das Vorhanden-
sein eines Gegenstandes andeutet, aus'm Weerth S. 7,
1. Sp., Note 7.
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Diese Szene deutet Reichensperger90, dem auch aus'mWeerth sich anschließt, wie folgt: ,,Die Stellung
der beiden Figuren so wie ihre Bewegungen berechtigen zu der Annahme, daß der Heilige den Verlockungen
zur Sinnlichkeit und Wollust und überhaupt den Versuchungen, welche das christliche Altertum bekannt-
lich unter dem Bilde des Centauren symbolisiert hat91, sich zu entziehen, überhaupt der Welt Lebewohl
zu sagen im Begriffe steht. Falls die Vermutung, daß das Bauwerk zur Seite des Heiligen die, früh
schon in eine christliche Kirche umgewandelte Porta nigra darstellt, begründet ist, scheint es mir kaum
noch einem Bedenken zu unterliegen, daß hier der h. Simeon dargestellt ist, welchen Erzbischof Poppo
im Beginne des 11. Jh. aus dem Gelobten Lande mitbrachte, und welcher sich in der später nach ihm
benannten Porta nigra lebendig in einem engen Raum einmauern ließ, „um seiner großen Innigkeit und
Liebe willen, die er zu Gott hatte"92, im J. 1035, nachdem er eine lange Zeit in dieser künstlich
geschaffenen Höhle zugebracht, dort starb.
Die Vita S. Simeonis monachi Trevirensis ab Everwino abbate S. Martini Trevir. conscripta93
kennt aber keine Begebenheit im Leben des Mönches, die auf unsere Darstellung Bezug haben könnte.
Der mit der Inschrift treviris versehene Bau aber gehört offenbar zu der Szene im Nebenfeld, mit der
allein ihn das aus dem Tor hervorgehende Spruchband in Beziehung setzt. Das Bild paßt vielmehr genau
auf eine Episode aus dem Leben des h. Antonius94. Die Vita S. Pauli primi eremitae berichtet bei Erzäh-
lung der Abenteuer, die der h. Antonius unterwegs erlebt, als er den h. Paulus eremita sucht, von folgender
genau zu unserem Bilde passenden Begegnung des h. Antonius mit einem H i p p o -
centauren: .... venerabilis senex (sc. Antonius) infirmes artus baculo regente sustentans, coepit ire velle,
quo nesciebat (er war also ,in solitudine errans'). Et iam media dies, coquente desuper sole, fervebat: nec
tarnen a coepto itinere abducebatur, dicens: Credo in Deum meum, quod servum suum, quem mihi
promisit, ostendet. Nec plura Iiis, conspicit hominem equo mixtum, cui opinio poetarum Hippocentauro
vocabulum indidit. Quo viso, salutaris impressione signi armat frontem et Heus tu, inquit, quanam in
parte hic servus Dei habitat? At ille barbarum nescio quid infrendens et frangens potius verba quam
proloquens, inter horrentia ora senis blandum quaesivit alloquium et dexterae protensione manus cupitum
indicat iter et sie patentes campos volucri transmittens fuga, ex oculis mirantis evanuit.
Im N o r d f e 1 d ist nach der Restauration folgende Szene dargestellt. Mit dem Rücken an das
Gebäude gelehnt, sitzt ein Mönch mit Tonsur, bartlos, barfuß, in gelblich-bräunlicher Kutte, die Beine
gerade ausgestreckt. Er nimmt mit beiden Händen ein mit Hemdchen bekleidetes Kind - - bei aus'm
Weerth95 hält es ein Täubchen - - in Empfang, das eine im Zwickel stehende Frau in langem, knappem,
gelblichem Kleid und Kopftuch ihm darreicht. Diese steht vor einem hohen roten Tauf(?)Kessel —jetzt
sieht dieser Gegenstand wie ein in dem blauen Grunde schwebender roter Mühlstein aus - - mit breiter
Brüstung96. Hinter demselben wird die Halbfigur eines bärtigen Bischofs mit Mitra und Nimbus sichtbar,
der die Rechte segnend der Frau auf die Schulter legt und die offene Linke im Redegestus erhebt. Auf
einem von dem Bischof hinter dem Mönch her in das Mitteltor laufenden Spruchband ist eine Aufschrift
nicht mehr vorhanden. Hohe, dessen Zeichnung mit dem restaurierten Bilde übereinstimmt, gibt von
der zweizeiligen Aufschrift, die hier über die Brust des Sitzenden und Brust und untere Gesichtshälfte
des Kindes hinweggeführt ist, einige Reste von Buchstaben, bei Rüben (Taf. XXV) läuft das Spruchband
90 a. a. O. S. 101 f.
91 Über die symbolische Bedeutung des Centauren vgl.
eingehend Ferd. Piper, Mythologie u. Symbolik d. christl.
Kunst I, S. 394. — J. kreuser, Wiederum christlicher
Kirchenbau. ApostolischeBaugesetze, Symbolik-Vorlesungen,
Brixen 1868, I, S.319. - Cabrols Dictionnaire II, 2, p. 3249.
92 Bei Surius, De vitis sanetorum ab Aloysio Lipo-
mano conscriptis, Mai. Vollständig in Acta Sanetorum Bol-
land. 1. Juni I, S. 89—106.
93 Reichensperger S. 107, Anm. 1 denkt ganz richtig schon
an diese Legende.
94 Hieronymi vita S. Pauli primi eremitae c. 7 (Migne,
Patrologia ser. lat. XXIII, p. 22). Die Stelle schon bei
Piper a. a. O. erwähnt. Dieselbe Deutung selbständig bei
Ildefons Herwegen, Zur Ikonographie des Kapitelsaales zu
Brauweiler: Annalen d. hist. Ver. f. d. Niederrhein 92, 1912,
S. 122.
95 Taf. XII, Nr. 23.
96 Die Annahme, der Bischof und die andere Figur stän-
den in dem Taufbecken, ist durch die Konturzeichnung ver-
anlaßt worden. Der Künstler hat nämlich, wie es für die
Erlangung richtiger Verhältnisse bei ähnlicher Veranlassung
häufig geschieht, zuerst die ganzen Figuren konfluiert und
dann die Linien des Taufbrunnens darüber gezeichnet. Bei
Rüben findet sich die kleine Taube in den Händen des
Kindes nicht, ebenso wenig bei Hohe, der das Vorhanden-
sein eines Gegenstandes andeutet, aus'm Weerth S. 7,
1. Sp., Note 7.