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Clemen, Paul
Die romanische Monumentalmalerei in den Rheinlanden — Düsseldorf, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.22845#0850
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816

die rheinische monumentalmalerei.

würdig groben Füße mit den gespreizten Zehen, die dann sowohl in Niedermendig wie bei den früh-
gotischen Wandmalereien in St. Andreas zu Köln uns entgegentreten.

Man vergegenwärtige sich als Gegenstück zu dem großen, bewegten Christus von Nideggen und
dem sitzenden Apostel aus St. Ursula noch einmal ein Hauptwerk der byzantinisierend gebundenen
Kunst um vierzig Jahre vorher: den segnenden Pantokrator aus der Vierung des Limburger Domes
(Abb. nach Pause Fig. 545). Es ist eine Kunst, die sicherlich gehaltener ist, gedämpfter im Ausdruck,
geschlossener im Umriß, sinngemäßer, überlegter in der etwas pedantisch antikisierten, sorgsam ge-
fältelten Gewandung — aber diese stille und feierliche Malerei stellt ausgesprochen ein fremdes Ele-
ment dar, von Anfang an steht das Streben der romanischen Kunst auf Leben und Ausdruck - - und
die Entwicklung kehrt an ihrem Ende hier nur zu ihren Anfängen zurück. Die Malereien von St. Ku-
nibert oder Nideggen erreichen dabei noch längst nicht das Maximum der Bewegung und die höchste
Steigerung der Gewandmassen in der wilden Verzipfelung und dem erregten Widerstreit der Linien,
wie sie uns in den Wandgemälden in der Frankenberger Kirche zu Goslar begegnen — vielleicht dem
absonderlichsten Denkmal dieses leidenschaftlichen Barock, in dem die romanische Linienkunst er-
stirbt, das so seltsam nahe an die phantastischen Radierungen Karl Anton Reichels erinnert.

In N i e d e r m e n d i g ist in der Cyriakuskirche158 der spätromanische Stil noch mehr in die gotischen
Formanschauungen hineingeführt, die Figuren zeigen schon leise den ungeschickten Kontrapost und den
Schwung der Spätgotik, die Gewandmotive sind größer (Fig. 546). Dem Romanismus gehört nur neben der Art
der Einteilung der Fläche die große Gestalt des Christopherus an, aber auch nur in ihrem Aufbau. Ob wir
hier eine frühgotische Erneuerung einer alten Christophorusfigur vor uns haben, aus jener Zeit um 1200, aus
der die (unter der gotischen Figurenreihe deutlich sichtbare) romanische Umrahmung der Arkadenbögen
stammt? Es sind die Schöpfungen einer mehr handwerksmäßigen, bäuerlichen Kunstübung, die uns hier
noch um das Jahr 1300 entgegentreten; abseits von der großen Entwicklung haben sich hier die letzten
Elemente der romanischen Dekoration und romanischen Formengebung noch in eine sonst schon ganz
gotisch empfundene Komposition hineingerettet.

Noch diese letzte derbe und dabei wunderlich verwahrloste Malerei tritt uns als eine streng lineare
Kunst entgegen. Fast stärker noch als in den manierierten, mit der liebenswürdigen Anmut der Gotik leise
durchsetzten Werken der Zwischenzeit, etwa in St. Kunibert und St. Maria Lyskirchen in Köln mit dem
verwirrenden Spiel der vielfach gebrochenen Linien, wird das Auge gezwungen, dem großen Umriß zu
folgen. Diese einfachen und bedeutenden Silhouetten erweisen sich als noch strenger tektonisch gebunden,
als es die Malereien in der Taufkapelle von St. Gereon in Köln und in Methler waren, die ähnlich die Wand
in Arkaden auflösten, wo aber die Vielheit der Motive ein Minus in Ruhe und Fluß zur Folge hatte. Bis
zuletzt ist so die romanische Monumentalmalerei ihrem inneren Gesetz treu geblieben, das ihr die feste
und sichere Begrenzung der Körper auferlegt, und wie es die Figuren selbst in von kräftigen Umrißlinien
umgrenzte Flächen verwandelt, so auch für die ganze Darstellung scheinbar nur zwei Dimensionen zuläßt.

In einem seltsam gespreizten und verwilderten Dialekt, der Aufregung um jeden Preis sucht, äußere
Bewegtheit auch da gibt, wo keine innere Bewegung am Platze ist, klingt die späteste romanische Formen-
sprache aus. Wenn wir das Accelerando in der immanenten Kraft dieser nordischen Malerei genährt und
gesteigert sehen durch die Berührung mit der alternden byzantinisch-italischen Kunst, von der jene allerlei
Äußerlichkeiten borgt, so wird dies Stilsuchen aufs neue gefesselt und in die edlen Rhythmen eines ge-
haltenen Andante gebunden durch die neue, von Frankreich ausgehende Wunderkraft der Gotik, die in
dieser Zeit sich schon anschickt die Welt zu erobern. Die Gotik als eine neue Art von formbestimmender
Macht, die eine neue künstlerische Gesinnung und damit eine neue Art zu sehen, einen neuen Formen-
kanon, einen neuen Rhythmus der Figuren, ein neues Kompositions- und Dekorationsschema schafft,
hat schon immer im Hintergrunde der in den letzten Abschnitten gezeichneten Entwicklung gestanden und
gewartet. Aber die Schilderung der Ausstrahlung dieser neuen Triebkraft gehört nicht in diese schon allzu

158 Zuerst aufgedeckt durch Jos. Liell, vgl. Zs. f. christ-
liche Kunst I, S. 398, hergestellt 1899 durch Jos. Barden-
hewer. Vgl. Clemen i. d. Jahresbericht d. rheinischen Pro-
vinzialkommission f. d. Denkmalpflege IV, 1899, S. 26, mit
Tafel. Derselbe, Bonner Jahrbücher 105, S. 212. Ein ver-

wandter Spätling des Romanischen bei Lucien Lecurieux
Les peintures murales du moyen-äge dans les anciens dio-
ceses du Mans et d'Angers: Congres archeol. de France,
LXXVII (1910), p. 184.
 
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