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Clemen, Paul [Hrsg.]
Belgische Kunstdenkmäler (Band 1): Vom neunten bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts — München, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.43817#0410
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und meinen, daß sein Sohn Pieter, der seine Werkstätte vermutlich fortführte, diese Erb-
schaft verwaltete. Von Pieters Kunstweisehaben wir keine bestimmte Anschauung erlangt;
sein Sohn aber und ein Enkel Rogiers war jener Goosen van der Weyden, von dessen Kunst
wir eine Vorstellung zu gewinnen im Begriff stehen — dank den ebenso scharfsinnigen
wie scharfsichtigen Ermittlungen Hulins de Loo1).
Scharf umrissen steht die Persönlichkeit Colyn de Coters2 3 4) vor uns, der sich mit zwei
Inschriften als ein in Brüssel tätiger Maler bezeichnet hat. 1493 wird ein »Colyn van
Bruesele« in die Antwerpener Gildenliste eingetragen. Man darf wohl die Identität der Maler
annehmen. Damals war Colyn ein angesehener Meister, der den Auftrag erhielt, die Engel
am Gewölbe der Lukaskapelle in Antwerpen zu malen. Es scheint, als ob Colyn nur kurze
Zeit in Antwerpen geblieben sei. Wenigstens kommt sein Name nach 1493 in den Gilden-
listen nicht mehr vor. Kein Schüler trat in seine Antwerpener Werkstatt ein. Vielleicht
war er aus Brüssel gerufen worden, um jene Wandmalerei auszuführen und kehrte nach
getaner Arbeit heim.
Ein Hauptwerk von seiner Hand ist uns unvollständig und in Bruchstücken erhalten. Wir
besitzen von einer großen Tafel des »Jüngsten Gerichts« vier Ausschnitte, nämlich den
hl. Michael in der Sammlung Virnich zu Bonn (Abb. 324), die Gruppe der Apostel und die
der Seligen mit Petrus in der Münchener Pinakothek, endlich die Verdammten im Privat-
besitz zu Köln. Die Vergleichung mit Rogiers Altar in Beaune liegt nahe (Abb. 326). Der
Erzengel in der Mitte ist hier wie dort feierlich isoliert und säulenartig mit steilen Linien
begrenzt. Die scharfen geraden Kerbungen im Gewandstoff verleihen der Figur Colyns
Festigkeit und Wucht. Colyn führt die Linien in weiten, wenn auch sehr flachen Bogen,
archaisierend, und verstärkt die Schatten. Er ersetzt die reine, spitze und klare Form
Rogiers durch eine dumpfe, dickblütige Massigkeit von leerer Größe, indem er den Mangel
an Feinheit unter starken Gegensätzen von Hell und Dunkel verbirgt.
Dieses Meisters finstere Monumentalität scheint eine Zeitlang in der Brüsseler Altar-
malerei herrschend gewesen zu sein. Wenigstens kenne ich mehrere Altäre von der Wende
zum 16. Jahrhundert, die, wenn nicht in seiner Werkstatt entstanden, in einem Atelier
entstanden sein müssen, das viel von seiner Stilweise angenommen hatte. Ich denke hier
an den Altar von Orsoy3), an den von PrausH), die schlecht erhaltenen Flügel, die kürzlich
in Köln versteigert worden sind 5), endlich an das Bild in der Brüsseler Galerie mit der
Geburt und der Beschneidung Christi (Nr. 922 Katalog Wauters).
Dieser Stil greift anscheinend nach Mecheln über. Dort, in St. Rombaud, befinden sich
25 kleine Tafeln mit der Legende des hl. Romualdus (Taf. 42). In der langen Reihe, die in
dem dunkeln Kirchenschiff schwer zu prüfen ist, sind mindestens zwei Stilweisen deutlich zu
unterscheiden. Der mehr altertümliche Meister schließt sich eng an Colyn an, während
in einigen Figuren, namentlich in Stifterporträts, die Hand des Meisters der Magdalenen-
Legende sichtbar wird.
Entartet oder wie karikiert tritt uns Colyns Manier entgegen aus dem Flügelaltar der
■) Jahrbuch der Preuß. Kunstsamml. XXXIV (1913), S. 59 ff. (leider ist der Aufsatz nicht zum
Abschluß gediehen).
2) Jahrbuch der Preuß. Kunstsamml. XXIX (1908), S. 228 ff. u. XXXI (1910), S. 245.
3) Düsseldorfer Ausstellung 1904, Nr. 91, Publikation Taf. 24.
4) Photos Stödtner Nr. 23573, 23633.
s) Versteigerung Lempertz, Februar 1920, aus Schloß Thal bei Aachen.

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