Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Cohn, William
Ostasiatische Porträtmalerei — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 43: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

Zitierlink: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cohn1922/0008
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
unterbrochenen Kunsttradition. Nicht unwahrschein-
lich, daß oft die Wirklichkeit erhalten blieb, wo man
Idealbildnisse erwarten würde. Im Grunde ist die Frage,
ob Porträt oder Phantasieschöpfung, für Ostasien vom
künstlerischen Standpunkt überhaupt nicht so schwer-
wiegend, wie es zuerst scheint. Idealbildnisse unterliegen
der gleichen allgemeinen Stilentwicklung wie echte Por-
träts. Oft wird ein Maler sich irgendeine Persönlichkeit
seiner Umgebung zum Vorbild genommen und einen
berühmten Namen daruntergescbrieben haben. Auf
der anderen Seite, wie schnell dürfte gerade im Osten
das Idealisierungsstreben eingesetzt haben, wenn es sich
um ein von einem Zeitgenossen angefertigtes Bildnis
eines eben Verstorbenen von hoher Bedeutung han-
delte! Der Begriff „Porträt“ sei hier also in weiterem
Sinne gefaßt. Abgesehen sei nur von solchen Darstel-
lungen, bei denen eine Tradition bis zu dem Modell
aus inneren, räumlichen und zeitlichen Gründen sich
ausschließt, wie z. B. bei Buddha, Konfuzius und den
Lohans1 (Rakans), oder die in so verschiedenen Auf-
fassungen erscheinen, daß ein freies Schalten der Maler
unzweifelhaft ist, wie z. B. bei Ta-mo2 3 (Daruma). Bis-
weilen geben porträtartige Darstellungen nur den Vor-
wand zu Genrebildern oder zu geistreichen Pinselein-
fällen, die gerne mit berühmten chinesischen Dichter-
namen in Beziehung gebracht werden8.
2.
Immer wieder wird die Bedeutung des Porträts in
der fernöstlichen Kunst unterschätzt. Und doch steht
es dort an ebenso bezeichnender Stelle wie im Westen,

1 Das sind die in Gruppen von 16,18 oder 500 zusammengenoinmenen näheren
und weiteren Jünger Buddhas.
2 Der aus Indien nach China gekommene Gründer der Zensekte (s. u.).
3 Vor allem Tao Yüan-ming und Li T’ai-po.

4
 
Annotationen