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Cohn, William
Ostasiatische Porträtmalerei — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 43: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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wenn auch aus anderen Quellen gespeist. Entscheidend
ist der in der Seele jedes Ostasiaten tief verwurzelte
Ahnenkult, der in der Verehrung überragender Per-
sönlichkeiten keine Grenzen kennt und sich jederzeit
des Bildnisses für seine Zwecke bediente. So ist das
ostasiatische Porträt in der Tat nicht selten ein
Kultbild. Daher der Ernst, die Ruhe und Würde, die
über ihm liegen — ein ähnlicher Geist, wie er aus
den buddhistischen Gottheitsdarstellungen spricht. Die
Gestalten thronen im Dreiviertelprofil mit einem typi-
schen Gestus, der unzweideutig die Rolle anzeigt, die
sie in der Welt spielen. Demselben Ziele dient die
peinliche Treue, mit der alle Einzelheiten des Gewandes
behandelt werden. Die strenge Beobachtung dieser
scheinbaren Äußerlichkeiten macht das Gewand gleich-
sam zum dekorativen Rahmen für den Kopf, in dem
aller künstlerische Ausdruck zusammenfließt. Der Kopf
wird mit wenigen treffenden Pinselstrichen aufgebaut,
alles andere gerne mit kleinmeisterlicher Sorgfalt durch-
geführt. Doch der Kultcharakter des ostasiatischen
Porträts erschöpft sein Wesen nicht. Es entwickelte
sich keineswegs aus dem Ahnen- und Totenkult allein.
Oder es machte sich sehr früh von diesen Banden frei
und wurde nicht selten zum Ausdrucks-, ja fast zum
Genrebildnis. Von solchen Werken liest man in den
alten Berichten, erhalten haben sie sich spärlich, da
nicht gerade die von der Kirche geschätzten Persön-
lichkeiten in dieser Weise gemalt wurden. Man vergesse
nicht, daß man schon aus dem zweiten nachchrist-
lichen Jahrhundert von dem Selbsporträt eines chine-
sischen Malers hört. Und die Bildnisse der Damen des
offenbar großen Harems, die Kaiser Yüan Ti (48—32
v. Chr.) sich zur Nachhilfe für sein Gedächtnis malen
ließ, dürften nicht gerade sakral gemeint gewesen sein.
Hierhin gehören die zu einer feststehenden Gruppe von
sechs oder sechsunddreißig vereinigten Darstellungen

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