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Conze, Alexander
Die antike Gewandung — Wien, 1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.9506#0002
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— 62 —

so ist mit diesen Kunstformen die antike Gewandung zu Men-
schen, die in Reifrock und Frack existiren, gekommen. Und
daran ändert sich Nichts, wird sich Nichts ändern. Denn wie
bisher keine Tracht auf die griechische gefolgt ist, die ge-
rade in Tektonik und Ornamentik der griechischen den Rang
abgelaufen hätte, so ist auch keine solche denkbar; was der
Historienmaler, der Bildner eines plastischen Monuments in
den Costumen verschiedener Zeiten gelegentlich sucht und
findet, das zieht auf dem Gebiete der Tektonik und Orna-
mentik nur selten an. Auf diesem Gebiete gilt am meisten
über andere Bedeutsamkeit erhabene reine Form, Idealität
natürlich gesetzmässiger Bildung, und die ist unter den zahl-
reichen Zeit- und Volkstrachten in schlichtester Einfalt und
doch am vollkommensten und reichsten ausgebildet in der
griechischen Tracht. Absonderlich aus Noth oder Willkür
Gestaltetes ist ihr am fremdesten.

Um das Nackte der menschlichen Gestalt auch ornamental

Fig. 5. Nach einem Modelle.

gut zu verwenden, räth man dem Lehrling zuerst und zuletzt
die Natur zu kennen; denn zu dem Conventionellen, dessen zumal
die Ornamentik nicht entrathen kann, soll sich immer neu das
Lebendige gesellen. So lässt der Bildner des Pflanzenornaments
die Vegetationsformen in der Natur keineswegs ausser Augen.
Nur in beständigem Hinblick auf die Natur gedeihen, ohne
zu entarten oder zu erstarren, seine Phantasieschöpfungen.

Soll nun das, gleichsam mit den Ornament-Figuren der
Renaissance geborene Gewand ohne eine solche grundlegende
Kenntniss der lebendigen Wirklichkeit, welcher es entstammt,
behandelt werden? Die Praxis sagt Ja. Auch der Bühnen-
schneider und Schauspieler weiss ein griechisches Gewand
«schön" zu legen, oft ohne dass ein solches Gewand für leben-
dig handelnde Menschen wirklich tragbar wäre. Was aber
die Praxis bejaht, wird von dem Künstler, der mehr als den
Schlendrian will, verneint werden. Er wird sich dann aber
auch für geringe Mühe belohnt sehen; denn mit einer selbst
nur summarischen Kenntniss der griechischen Gewandung,

wie sie im Leben war, erschliesst er sich eine unendliche Varia-
tionsreihe ornamentaler Motive, die er nun mit Sicherheit in
beliebiger Anzahl producirt und handhabt, wie der Musiker,
der seinen Generalbass inne hat, immer neue Formen einem
Thema abgewinnt. Ich sage: eine selbst nur summarische
Kenntniss bietet schon solchen Gewinn. Es ist nämlich in
der That nur ein sehr Einfaches, um das es sich bei der
antiken Gewandung für den Künstler, den antiquarische Sor-
gen nicht drücken sollen, handelt. Ihm kann man sagen,
dass das griechische Gewand im Wesentlichen überall ein
und dasselbe war, in seinen Hauptzügen kunstlos und wieder
kunstvollst einfach, mochte es in der Volksversammlung und
in den Theatern Athens, auf den Märkten Kleinasiens, im
gestrengen Sparta oder in den Prunkgemächern der Höfe
Siciliens oder Alexandriens getragen werden.

Alles das liegt weit hinter uns; nur das Studium ruft
es einigermassen wieder herbei. Der Künstler wird es sich

Fig. 6. Nach einem Modelle.

gefallen lassen müssen, hier vom Alterthumsforscher zu lernen,
wie er es sich gefallen lässt, vom Anatomen den mensch-
lichen Körper sich deuten zu lassen. Dieser gibt ihm zu dem
blossen Anschauen und Nachbilden der Körperoberfläche das
Verständniss der dort erscheinenden Formen durch Nachweis
der darunter zu Grunde liegenden Gebilde und namentlich
ihrer, das reiche Spiel der Formen erst hervorrufenden Func-
tionen. Auch der Alterthumsforscher wird versuchen müssen,
mehr zu geben, als das Nachbilden einer Anzahl antiker Ge-
wandstatuen je bieten kann. Ein solches Mehr sollte aller-
dings in einem jeden Actsaale geboten werden, die Einsicht
nämlich, wie die Form der bekleideten Gestalt aus der Func-
tion des Gewandes am Körper hervorgeht. Hierin liegt bei
der griechischen Gewandung geradezu Alles.

Das griechische Gewand ist an sich, kann man sagen,
Nichts, ein möglichst gleichgiltiger Stoff, welcher, indem er
schützend verdeckt, doch möglichst wenig verdeckt, und der
das , was er wirklich verdeckt, dennoch, wenn auch in einer
 
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