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Curtius, Ernst
Ephesos: ein Vortrag, gehalten im wissenschaftlichen Verein zu Berlin am 7. Februar 1874 — Berlin, 1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.4606#0035
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35

Trümmern des Tempels am Fufse des Festangsbergs die
Moschee Selim, ein Prachtwerk osmanischer Architektur.

Auch sie ist längst eine Ruine. Unterhalb derselben
wohnt eine Anzahl türkischer Familien in den schmutzigen
Hütten des Dorfs Ayasuluk — sonst ist Alles ein grofses
Grab, eine menschenleere und weglose Wildnils von Morast
und Gestrüpp, in deren Atmosphäre eine Nacht zuzubringen
lebensgefährlich ist.

Die einzigen Spuren geschichtlicher Ueberlieferimg,
welche an dem Boden haften, gehören der christlichen Le-
gende an. Man zeigt auf dem alten Athenaion das Gefärignifs
des Paulus und am oberen Rande des Pion die Grotte, wo
die Siebenschläfer Zuflucht gefunden haben sollen.

Die Todesstille, welche auf der Gegend ruht, wird nur
unterbrochen, wenn auf der neuen Eisenbahn der Jagdzug
von Smyrna kommt und die Jäger dort, wo einst die Pilger-
schiffe an den Marmorhallen des Tempels landeten, sich mit
ihren Hunden durch das Gebüsch drängen, um das Sumpf-
gevögel aufzuscheuchen.

Von allen grofsen Tempeln des Alterthums war das
Artemision der einzige, dessen Stätte spurlos verschwunden
war, bis es dem Kunsteifer und der Energie Englands nach
zwölfjährigem Durchwühlen der ganzen Ebene im Frühjahr
1871 endlich gelungen ist, aus 20 Fufs Tiefe die in Schlamm
versunkenen Marmortrümmer wieder an das Licht zu ziehen.
Wir 'tragen die Trümmer herüber', aber nicht um ihre ver-
lorene Schönheit zu beklauen, sondern um die Vergangen-
heit zu verstehen und um an eine)- solchen Schicksalstätte,
wie Ephesos ist. daran zu denken, was bei allem Wechsel von
Natur und Geschichte allein im Stande ist, dem Menschenleben
wahre Bedeutung und unvergänglichen Inhalt zu geben25).
 
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