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Curtius, Ernst [Hrsg.]; Kaupert, Johann A. [Hrsg.]
Karten von Attika (Heft I): Erläuternder Text: Athen und Peiraieus — Berlin, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.768#0030
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10. Weiter ins Einzelne diese orientalischen Einflüsse zu verfolgen, ist nicht möglich. Am
wenigsten zu billigen ist die etymologische Deutung des Wortes Munichia aus dem phönikischen,
„Ruhestätte" bedeutenden Wort, mit Hülfe der Zwischenform Munuchia (Graser, Philolog. XXXI, S. 7,
Anm.), schon weil die älteste inschriftlich bezeugte Form Munichia lautet. Zudem haftet der Name
zunächst an der Göttin Artemis, die unter demselben Beinamen aus ganz anderm Kreise nachweisbar
ist (s. unten). Was die syrische Aphrodite angeht, so wissen wir zufällig, seit wann ihr Dienst im
Peiraieus eingeführt ist (Ol. m, 4, Corp. Inscr. Att. II, 168). Es war dieselbe Zeit, als so zahlreiche
fremde Gottheiten in der Hafenstadt religionsberechtigt wurden. Ueber das Alter desjenigen (phale-
rischen) Poseidondienstes, um dessen Priesterschaft gerade damals phönikische Männer stritten,
lässt sich gar nichts vermuthen; (s. die Rede Dinarch's, Dionys. de Din. 10; Wachsm. 440, Anm. 2).*)
Ueberhaupt ist der spezifisch phönikische Charakter dieser dunklen Gottheit unerweislich.

Dasselbe gilt von der Athena Skiras im Phaleron. Der schwache Faden der geläufig ge-
wordenen Combination, welche die fremde Abkunft dieser Göttin begründen soll, ist folgender: Skiras
deute auf cxiggccg, den weisslichen Bodens), — auf diesem gedeihe vorzugsweise gut die Olive, —
diese stammt wahrscheinlich aus Syrien — also auch der Cult der Athena Skiras. Ich füge noch
hinzu, dass der Oelbaum, den man doch in der Nähe der Cultstätten vorzugsweise vertreten wünschen
würde, ebensowenig am salaminischen Skiradion, als gerade besonders im Phaleron fortkommt. Der Name
haftet allerdings vorzugsweise an Salamis und benachbarten Orten, wie Megara und Eleusis, ist aber, wie
man ihn auch deuten mag, von gutem griechischen Klang; wenn derselbe in Attika wiederkehrt, so können wir
lediglich auf älteste Verbindungen mit den Nachbarstaaten schliefsen, unter denen Eleusis nicht zurücksteht.

Will man endlich der Minossage einen überwiegend phönikischen Charakter beilegen, so ent-
halten ja eben die Oertlichkeiten und Gebräuche im Phaleron, welche daran anknüpfen, die Rück-
erinnerung an eine der ältesten Thatsachen griechischer Geschichte, an vorübergehende Erniedrigung
und an glückliche Abweisung des fremdartigen Elementes.

Ueberhaupt sind sonst die Spuren überseeischer Einflüsse nicht sehr reichlich vertreten.
Abgesehen von einer Station des delischen Apollon ^Anollatv Jtjhog föalrjQoT, C. I. Att. I. 210) und der
Landung des troischen Palladion4) weisen uns vielmehr alle Anzeichen mit merkwürdiger Ueberein-
stimmung auf dem Wege über Böotien nach Thessalien und Thrakien.

11. Eine Geschichte der Sagen und Culte Attika's ist undenkbar ohne Berücksichtigung böoti-
scher Verhältnisse. Dieselben sind freilich wie nirgend anders durch die Aufeinanderfolge der ver-
schiedenen Einwanderungen und durch die Schwierigkeit ethnologischer Scheidungen verwickelt ge-
worden. Aber Thatsache bleibt doch das stofsweise Vorgehen der aus Thessalien gedrängten Stämme
und die Nachwirkung auf das attische Land, sei es in Folge von Absplitterung einzelner Volkstheile,
oder durch Uebertragung. Am frühesten begegnen uns dort die Minyer, Pelasger und Kadmeer,
weit mehr als leere Namen, wenn auch ihr Ursprung und ihr gegenseitiges Verhältniss dunkel genug
erscheint5). Zwischen sie schieben sich, theilweise unterwerfend, die böotischen Thraker. Ihnen
folgen, von den Thessalern gedrängt, die äolischen Böoter. Von allen diesen Stämmen sind
Zuwanderungen, oder Einfälle in attisches Gebiet direkt bezeugt6). Dem entspricht eine Ablagerung von
angestammten oder angeeigneten und modificirten Kulten; und davon legen vorzugsweise die um den
Phaleron gruppirten, denen ich auch die Verehrung der Artemis Munichia beizugesellen denke,
deutliches Zeugniss ab.

12. Die Angaben über ausgewanderte (von den Thrakern vertriebene) Minyer (s. Curtius,
de port. Ath., S. 19 ff.) hat Wachsmuth ignorirt, um zweifelnd Leleger und Phöniker an ihre Stelle
zu setzen. Wenn freilich diese Nachrichten in der überlieferten Form (bald ein attischer König
Munychos, bald Munychos als Ansiedler erwähnt) unmittelbare Geltung nicht beanspruchen dürfen,
so ist doch die auf Hellanikos zurückgehende Notiz keineswegs verwerflich. Ein Verdacht, der meines
Wissens bisher nicht geäufsert worden ist, aber vielleicht stillschweigend gewirkt hat: es möchte die
äufserliche Aehnlichkeit des Namens Munichia auf das Volk der Minyer geführt haben, wäre durchaus
unbegründet, da die Alten ganz anders etymologisirten. (Vgl. Apollodor bei Suidas ^A^fpupcSvieg.) Nun
wird der minysche Ursprung des Artemiskultus, nach dem doch erst die Gegend benannt ist, auch auf
anderem Wege bestätigt. Kallimachos verbindet die Namen nöxvia Movvvilri hfitvonxonog — mit 0fqaitj,
welche Deimling, Leleger, S. 180, 182 nicht wieder hätte trennen sollen. Denn dass die Göttin von
 
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