Das Heraion (Tafel XVIII - XXIII).
35
Bevor wir die ßaugeschichte des Tempels erörtern,
hebe ich noch kurz seine wichtigsten technischen
Eigentümlichkeiten hervor:
Die Steinart des äusseren Stylobats und der Cella
ist ein Muschelkonglomerat (Porös), der sich von dem
Material des Zeustempels dadurch unterscheidet, dass
vielfach grosse Austernschalen darin vorkommen. Die
einzelnen Quadern berühren sich an den Stossfugen
weder mit ihrer ganzen Fläche, noch mit einem breiten
Rande, sondern nur mit der äussersten Kante. Diese
Art der Fugenbildung mag zwar einen genauen äusseren
Schluss der Fuge ermöglichen, hat aber den grossen
Nachteil, dass, wenn der Stein in der Nähe der Fuge
abgetreten oder beschädigt wird, sehr bald eine weit-
klasfende Fuge zu sehen ist. Trotzdem kommt sie bei
älteren Bauwerken nicht nur in Olympia, sondern auch
an anderen Orten vielfach vor. Als charakteristisches
Beispiel nenne ich hier das Königshaus von Mykenae.
Die drei verschiedenen Arten der Fugenbildung werden
durch nachltehende Figur i 5 veranschaulicht.
Figur 15.
Verschiedene Arten der Stosssugen, Horizontalschnitt.
Dass auch die horizontalen Lagerfugen sich nicht
immer mit ganzer Fläche berühren, sondern bei der
Cellawand nur mit dem äusseren Rande, wurde schon
oben erwähnt.
Eiserne Klammern oder Dübel zur Verbindung der
Steine kommen beim Heraion noch nicht vor. Auch
darin gleicht das Heraion den Bauten von Mykenae
und anderen alten Bauwerken. Eigentümlich ist die
Vorrichtung zum Heben der Steine. An der Oberfläche
vieler Quadern befinden sich zwei Löcher, welche schräg
in den Stein hineingearbeitet sind und im Inneren
zusammenstossen. Man konnte so einen Strick durch
beide Löcher durchziehen und mit Hülfe desselben den
Stein heben. Welche Quadern der Wand solche Löcher
enthalten, sleht man aus dem Grundrisse Tafel XVIII.
Bei denjenigen Steinen, wo die Löcher nicht an der
Oberfläche eingearbeitet werden durften, damit sie nicht
später sichtbar waren, wie z. B. am Stylobat der Innen-
säulen, befinden sich dieselben Löcher an den Seiten-
ssächen.
c. Baugeschichte.
Bei den Eleern ging die Sage (Paus. V, 16, 1), dass
die Skilluntier den Tempel erbaut hätten, ungefähr acht
Jahre nachdem Oxylos die Herrschaft über Elis er-
worben. Nach dieser auffallend bestimmten Angabe
würde die Erbauung des Tempels, wenn wir die übliche
Zeitrechnung zu Grunde legen, in die Zeit des Zuges
der Herakliden, also etwa ins Jahr 1096 sallen. Das
scheint zunächst unmöglich, und, soweit ich sehe, hat
bisher Niemand die Angabe aufrecht zu erhalten gesucht.
Man hat sich begreiflicherweise gescheut, dem Tempel
ein so hohes Alter zuzuschreiben. Dass schon im
11. Jahrhundert ein Peripteraltempel mit Pronaos, Cella
und Opisthodom erbaut sein sollte, erschien ganz un-
möglich, und dass schon damals, als man nach der
gewöhnlichen Annahme nur »kyklopisch« baute, ein
so vorzügliches Quadermauerwerk, wie wir es an der
Cella und dem Stylobat des Heraion sehen, sollte
hergestellt worden sein, durfte man als undenkbar
bezeichnen.
Nachdem aber jetzt die Bauten von Tiryns und
Mykenae aufgedeckt, und die uralten Bauwerke Trojas
gefunden sind, hat sich das Urteil geändert. Das Schema
des templum in antis, als Vorhalle eines Megaron, kommt
in jenen Burgen schon in ganz derselben Weise vor,
und bei den noch älteren Bauten von Troja trefsen wir
neben der Vorhalle auch die entsprechende Hinterhalle,
den Opisthodom. Die Wand mit den vorspringenden
Zungenmauern, die wir am Heraion gefunden, kommt
auch schon in ganz ähnlicher Weise in Troja vor.
Von dem Grundrisse des Heraion ist also nur die
äussere Ringhalle aus den heroischen Bauten noch nicht
bekannt. Aber man bedenke wohl, dass bisher noch
kein Tempel, sondern nur Wohnhäuser aus jener Zeit
gefunden sind, und warum sollte man nicht damals
schon auf den Gedanken gekommen sein, das Haus
des Gottes dadurch von dem Wohnhause zu unter-
scheiden, dass man es mit einem von Säulen getragenen
Baldachin umgab?
Auch das sorgfältige Quadermauerwerk mit solchen
Stossfugen, die sich nur mit den Kanten berühren,
finden wir schon in dem Megaron von Mykenae; ja
die beim Heraion vorhandene Eigentümlichkeit, dass die
Wände nach aussen aus einer hochkantigen Plattenschicht,
nach innen aber aus anderem Mauerwerk beliehen,
kommt bei demselben Megaron von Mykenae vor, mit
dem einzigen Unterschiede, dass das hintere Mauerwerk
hier aus Bruchsteinen und Lehmmörtel, dort aus Quadern
ohne Mörtel besteht.
Also weder der Grundriss noch die Technik des
Heraion berechtigen uns, jene von Pausanias überlieferte
Sage ohne Weiteres zu verwerfen. Allerdings sind wir
noch nicht berechtigt, dem Tempel wegen seiner Technik
oder wegen seines Grundrisses ein so hohes Alter
zuzuschreiben, aber wir mussen feststellen, dass unsere
Kenntnis der ältesten griechischen Baukunst uns nicht
verbietet, die Erbauung des Heraion bis ins 11. Jahr-
hundert hinaufzurücken.
Hier brauchen wir jedoch nicht flehen zu bleiben.
Unsere Untersuchung über die ursprünglichen Holzsäulen
des Tempels und ihren Ersatz durch steinerne Stützen
giebt uns ein Mittel an die Hand, die Bauzeit auch ganz
unabhängig von Pausanias' Angabe wenigstens annähernd
zu bestimmen.
Mehrere der hölzernen Säulen sind schon im 6.,
einige wahrscheinlich sogar schon im 7. Jahrhundert bau-
fällig gewesen und durch Steinsäulen ersetzt worden;
andere haben noch Jahrhunderte lang am Tempel ge-
sunden, bis auch sie ausgewechselt werden mussten,
und eine finden wir sogar zu Pausanias' Zeit noch als
35
Bevor wir die ßaugeschichte des Tempels erörtern,
hebe ich noch kurz seine wichtigsten technischen
Eigentümlichkeiten hervor:
Die Steinart des äusseren Stylobats und der Cella
ist ein Muschelkonglomerat (Porös), der sich von dem
Material des Zeustempels dadurch unterscheidet, dass
vielfach grosse Austernschalen darin vorkommen. Die
einzelnen Quadern berühren sich an den Stossfugen
weder mit ihrer ganzen Fläche, noch mit einem breiten
Rande, sondern nur mit der äussersten Kante. Diese
Art der Fugenbildung mag zwar einen genauen äusseren
Schluss der Fuge ermöglichen, hat aber den grossen
Nachteil, dass, wenn der Stein in der Nähe der Fuge
abgetreten oder beschädigt wird, sehr bald eine weit-
klasfende Fuge zu sehen ist. Trotzdem kommt sie bei
älteren Bauwerken nicht nur in Olympia, sondern auch
an anderen Orten vielfach vor. Als charakteristisches
Beispiel nenne ich hier das Königshaus von Mykenae.
Die drei verschiedenen Arten der Fugenbildung werden
durch nachltehende Figur i 5 veranschaulicht.
Figur 15.
Verschiedene Arten der Stosssugen, Horizontalschnitt.
Dass auch die horizontalen Lagerfugen sich nicht
immer mit ganzer Fläche berühren, sondern bei der
Cellawand nur mit dem äusseren Rande, wurde schon
oben erwähnt.
Eiserne Klammern oder Dübel zur Verbindung der
Steine kommen beim Heraion noch nicht vor. Auch
darin gleicht das Heraion den Bauten von Mykenae
und anderen alten Bauwerken. Eigentümlich ist die
Vorrichtung zum Heben der Steine. An der Oberfläche
vieler Quadern befinden sich zwei Löcher, welche schräg
in den Stein hineingearbeitet sind und im Inneren
zusammenstossen. Man konnte so einen Strick durch
beide Löcher durchziehen und mit Hülfe desselben den
Stein heben. Welche Quadern der Wand solche Löcher
enthalten, sleht man aus dem Grundrisse Tafel XVIII.
Bei denjenigen Steinen, wo die Löcher nicht an der
Oberfläche eingearbeitet werden durften, damit sie nicht
später sichtbar waren, wie z. B. am Stylobat der Innen-
säulen, befinden sich dieselben Löcher an den Seiten-
ssächen.
c. Baugeschichte.
Bei den Eleern ging die Sage (Paus. V, 16, 1), dass
die Skilluntier den Tempel erbaut hätten, ungefähr acht
Jahre nachdem Oxylos die Herrschaft über Elis er-
worben. Nach dieser auffallend bestimmten Angabe
würde die Erbauung des Tempels, wenn wir die übliche
Zeitrechnung zu Grunde legen, in die Zeit des Zuges
der Herakliden, also etwa ins Jahr 1096 sallen. Das
scheint zunächst unmöglich, und, soweit ich sehe, hat
bisher Niemand die Angabe aufrecht zu erhalten gesucht.
Man hat sich begreiflicherweise gescheut, dem Tempel
ein so hohes Alter zuzuschreiben. Dass schon im
11. Jahrhundert ein Peripteraltempel mit Pronaos, Cella
und Opisthodom erbaut sein sollte, erschien ganz un-
möglich, und dass schon damals, als man nach der
gewöhnlichen Annahme nur »kyklopisch« baute, ein
so vorzügliches Quadermauerwerk, wie wir es an der
Cella und dem Stylobat des Heraion sehen, sollte
hergestellt worden sein, durfte man als undenkbar
bezeichnen.
Nachdem aber jetzt die Bauten von Tiryns und
Mykenae aufgedeckt, und die uralten Bauwerke Trojas
gefunden sind, hat sich das Urteil geändert. Das Schema
des templum in antis, als Vorhalle eines Megaron, kommt
in jenen Burgen schon in ganz derselben Weise vor,
und bei den noch älteren Bauten von Troja trefsen wir
neben der Vorhalle auch die entsprechende Hinterhalle,
den Opisthodom. Die Wand mit den vorspringenden
Zungenmauern, die wir am Heraion gefunden, kommt
auch schon in ganz ähnlicher Weise in Troja vor.
Von dem Grundrisse des Heraion ist also nur die
äussere Ringhalle aus den heroischen Bauten noch nicht
bekannt. Aber man bedenke wohl, dass bisher noch
kein Tempel, sondern nur Wohnhäuser aus jener Zeit
gefunden sind, und warum sollte man nicht damals
schon auf den Gedanken gekommen sein, das Haus
des Gottes dadurch von dem Wohnhause zu unter-
scheiden, dass man es mit einem von Säulen getragenen
Baldachin umgab?
Auch das sorgfältige Quadermauerwerk mit solchen
Stossfugen, die sich nur mit den Kanten berühren,
finden wir schon in dem Megaron von Mykenae; ja
die beim Heraion vorhandene Eigentümlichkeit, dass die
Wände nach aussen aus einer hochkantigen Plattenschicht,
nach innen aber aus anderem Mauerwerk beliehen,
kommt bei demselben Megaron von Mykenae vor, mit
dem einzigen Unterschiede, dass das hintere Mauerwerk
hier aus Bruchsteinen und Lehmmörtel, dort aus Quadern
ohne Mörtel besteht.
Also weder der Grundriss noch die Technik des
Heraion berechtigen uns, jene von Pausanias überlieferte
Sage ohne Weiteres zu verwerfen. Allerdings sind wir
noch nicht berechtigt, dem Tempel wegen seiner Technik
oder wegen seines Grundrisses ein so hohes Alter
zuzuschreiben, aber wir mussen feststellen, dass unsere
Kenntnis der ältesten griechischen Baukunst uns nicht
verbietet, die Erbauung des Heraion bis ins 11. Jahr-
hundert hinaufzurücken.
Hier brauchen wir jedoch nicht flehen zu bleiben.
Unsere Untersuchung über die ursprünglichen Holzsäulen
des Tempels und ihren Ersatz durch steinerne Stützen
giebt uns ein Mittel an die Hand, die Bauzeit auch ganz
unabhängig von Pausanias' Angabe wenigstens annähernd
zu bestimmen.
Mehrere der hölzernen Säulen sind schon im 6.,
einige wahrscheinlich sogar schon im 7. Jahrhundert bau-
fällig gewesen und durch Steinsäulen ersetzt worden;
andere haben noch Jahrhunderte lang am Tempel ge-
sunden, bis auch sie ausgewechselt werden mussten,
und eine finden wir sogar zu Pausanias' Zeit noch als