36
Das Heraion (Tafel XVIII — XXIII).
Gebälkträger im Opisthodom. Letztere hat also um
acht Jahrhunderte länger ausgehalten als diejenigen,
welche schon im 7. Jahrhundert nicht mehr tragfähig
waren. Nun lässt sich allerdings nicht allgemein er-
mitteln, wie lange eine Säule aus Eichenholz von etwa
1 m Durchmesser braucht um baufällig zu werden, aber
das darf man behaupten, dass die Säulen, welche im
7. Jahrhundert ausgewechselt wurden, schon einige Jahr-
hunderte alt gewesen sein mussen. Denn wäre dies nicht
der Fall gewesen, so würde man nicht begreifen, wie
andere Säulen noch mehrere Jahrhunderte länger und
zwar bis zu acht Jahrhunderten hätten flehen können.
Aus der allmäligen Ersetzung der Holzsäulen dürfen
wir daher schliessen, dass der Tempel mit den Holzsäulen
etwa drei bis vier Jahrhunderte gestanden hat, bis die
ersten Säulen ausgewechselt wurden. Er muss also etwa
im 10. oder n. Jahrhundert erbaut sein. Dieses Resultat
stimmt so vorzüglich zu der Angabe des Pausanias, der
Tempel sei zur Zeit der dorischen Wanderung errichtet
worden, dass ich es nicht mehr für zulässig halte, die-
selbe als Sage ganz unberücksichtigt zu lassen.
Dieser Ansetzung widersprechen auch weder die
Funde, welche zwischen den Fundamenten im Innern
des Tempels gemacht sind und demnach älter sein
mussen als der Tempel, noch der aufgefundene Kopf
des Cultbildes, welchen ich oben schon erwähnte und
welcher mit dem Tempel gleichzeitig sein muss. Die
rohen Terrakotta-Figuren und andere Gegenstände,
welche im Innern des Tempels gefunden wurden, lassen
sich freilich nicht genau datieren, gehören aber sicher zu
den ältesten Kunsterzeugnissen auf griechischem Boden,
und auch der hochaltertümliche Herakopf muss den
ältesten Skulpturen, die wir überhaupt besitzen, zugezählt
werden. Sie alle geben, so viel ich sehe, selbst keinen
Anhaltspunkt zur Bestimmung der Bauzeit des Tempels,
sondern können, umgekehrt, nur nach dem Tempel
datiert werden.
Die architektonischen Terrakotten, namentlich das
kolossale Akroterion, scheinen dagegen unserem Ansatz
zu widersprechen; denn dass dieselben nicht aus jener
alten Zeit flammen können, wird Jedermann zugeben.
Aber wissen wir denn, dass diese Terrakotten keine
spätere Zuthat sind? Meines Erachtens flammen sie
nicht aus der Zeit der Erbauung des Tempels. Ich
schliesse vielmehr aus den schweren Verhältnissen des
alten Holzbaues, dass der Tempel ursprünglich ein
horizontales Lehmdach hatte, und dass das Giebeldach
mit seinen Terrakotten erst in späterer Zeit hinzu-
gekommen ist.
Noch eine Frage, welche von F. Adler angeregt
worden ist, muss hier besprochen werden. Dieser hat
nämlich die Vermutung ausgesprochen, dass die Cella
mit ihrer Vor- und Hinterhalle älter sei als die Ringhalle.
Mir scheint das aber aus mehreren Gründen nicht mög-
lich zu sein. Erstens sind die Mauern und Fundamente
der Cella aus demselben Material und in derselben
Technik erbaut, wie der Stylobat und sein Fundament.
Bei beiden ist derselbe Muschelkalk mit grossen Auster-
schalen verwendet, der bei anderen Bauten fast gar nicht
vorkommt, und bei beiden besteht der unterste Teil der
Fundamente aus grossen Flussgeschieben. Zweitens ist
die Stufe, welche um die Cella läuft, an ihrer senkrechten
Aussenfiäche nicht glatt bearbeitet, wie es nötig wäre
wenn der Naos einst ohne Säulenhalle freigestanden hätte.
Drittens scheint es mir nicht annehmbar, dass man sich
bei einer späteren Hinzufügung der Aussensäulen nach
den Axen der Innensäulen gerichtet haben sollte. Es
haben die inneren und äusseren Säulen nicht nur gleiche
Axweiten, sondern sind auch axial aufgestellt. Eine solche
Anordnung stellt nur derjenige her, welcher den Entwurf
eines Tempels anfertigt, niemals aber der, welcher um
eine fertige Cella eine Ringhalle herumlegen soll.
Gerade bei der Seltenheit solcher übereinstimmenden
Axenteilung im Inneren und Äusseren scheint es mir
sicher, dass wir im Heraion einen einheitlich aus-
geführten Bau vor uns haben.
Über die späteren Schicksale des Tempels mögen
einige Worte genügen: Die ursprünglichen Holzsäulen
sind, wie wir schon sahen, etwa vom 7. Jahrhundert ab
durch Steinsäulen ersetzt worden und zwar ganz allmälig.
Zu gleicher Zeit traten auch Steinsäulen an die Stelle der
hölzernen Innensäulen und die Zungenmauern aus Luft-
ziegeln und Quadern wurden entfernt. Vielleicht ist
schon im 7. Jahrhundert das ursprüngliche Lehmdach
durch ein Giebeldach mit Thonziegeln ersetzt worden.
Nach Erbauung des Zeustempels trat das Heraion,
welches bis dahin vielleicht der einzige Tempel Olympias
gewesen war, an Bedeutung zurück. Während es vor-
her, wie man vermutet hat, ein gemeinsamer Tempel
der Hera und des Zeus war, blieb es von da ab nur
der Tempel der Hera.
Wesentliche Veränderungen hat der Tempel bis zu
seinem Untergange nicht mehr erlebt. Ob man das
Gebälk und etwa auch die Luftziegelmauern im Laufe
der Jahrhunderte einmal erneuert hat, wissen wir nicht.
Nur das fleht fest, dass die Cella, wahrscheinlich in
römischer Zeit, im Inneren und Äusseren mit neuem
Stuck überzogen worden ist.
Nachdem der Tempel in spätrömischer Zeit seines
Daches beraubt war, lösten sich die Ziegel auf und
bildeten eine Lehmschicht, welche den ganzen Bau etwa
einen Meter hoch bedeckte. Später bauten die Byzan-
tiner die Wände in roher Weise wieder auf. Die Unter-
teile der alten Wände und Säulen und der ganze
Stylobat lagen unter dem Lehm verborgen und blieben
so erhalten. Diese Lehmschicht war es auch, welche
den damals umgestürzten Hermes des Praxiteles den
Augen der byzantinischen Kalkbrenner entzogen hat.
Wozu die Tempelcella in byzantinischer Zeit diente,
ist nicht zu bestimmen. Im Opisthodom war eine Wein-
kelter eingerichtet.
Die Säulen der Ringhalle standen damals zum
grossen Teil noch aufrecht. Sie sind erst umgefallen
oder weggeschleppt worden, als das in der Altis errichtete
byzantinische Dorf und der ganze heilige Bezirk schon
von dem Kladeos hoch verschüttet war
Das Heraion (Tafel XVIII — XXIII).
Gebälkträger im Opisthodom. Letztere hat also um
acht Jahrhunderte länger ausgehalten als diejenigen,
welche schon im 7. Jahrhundert nicht mehr tragfähig
waren. Nun lässt sich allerdings nicht allgemein er-
mitteln, wie lange eine Säule aus Eichenholz von etwa
1 m Durchmesser braucht um baufällig zu werden, aber
das darf man behaupten, dass die Säulen, welche im
7. Jahrhundert ausgewechselt wurden, schon einige Jahr-
hunderte alt gewesen sein mussen. Denn wäre dies nicht
der Fall gewesen, so würde man nicht begreifen, wie
andere Säulen noch mehrere Jahrhunderte länger und
zwar bis zu acht Jahrhunderten hätten flehen können.
Aus der allmäligen Ersetzung der Holzsäulen dürfen
wir daher schliessen, dass der Tempel mit den Holzsäulen
etwa drei bis vier Jahrhunderte gestanden hat, bis die
ersten Säulen ausgewechselt wurden. Er muss also etwa
im 10. oder n. Jahrhundert erbaut sein. Dieses Resultat
stimmt so vorzüglich zu der Angabe des Pausanias, der
Tempel sei zur Zeit der dorischen Wanderung errichtet
worden, dass ich es nicht mehr für zulässig halte, die-
selbe als Sage ganz unberücksichtigt zu lassen.
Dieser Ansetzung widersprechen auch weder die
Funde, welche zwischen den Fundamenten im Innern
des Tempels gemacht sind und demnach älter sein
mussen als der Tempel, noch der aufgefundene Kopf
des Cultbildes, welchen ich oben schon erwähnte und
welcher mit dem Tempel gleichzeitig sein muss. Die
rohen Terrakotta-Figuren und andere Gegenstände,
welche im Innern des Tempels gefunden wurden, lassen
sich freilich nicht genau datieren, gehören aber sicher zu
den ältesten Kunsterzeugnissen auf griechischem Boden,
und auch der hochaltertümliche Herakopf muss den
ältesten Skulpturen, die wir überhaupt besitzen, zugezählt
werden. Sie alle geben, so viel ich sehe, selbst keinen
Anhaltspunkt zur Bestimmung der Bauzeit des Tempels,
sondern können, umgekehrt, nur nach dem Tempel
datiert werden.
Die architektonischen Terrakotten, namentlich das
kolossale Akroterion, scheinen dagegen unserem Ansatz
zu widersprechen; denn dass dieselben nicht aus jener
alten Zeit flammen können, wird Jedermann zugeben.
Aber wissen wir denn, dass diese Terrakotten keine
spätere Zuthat sind? Meines Erachtens flammen sie
nicht aus der Zeit der Erbauung des Tempels. Ich
schliesse vielmehr aus den schweren Verhältnissen des
alten Holzbaues, dass der Tempel ursprünglich ein
horizontales Lehmdach hatte, und dass das Giebeldach
mit seinen Terrakotten erst in späterer Zeit hinzu-
gekommen ist.
Noch eine Frage, welche von F. Adler angeregt
worden ist, muss hier besprochen werden. Dieser hat
nämlich die Vermutung ausgesprochen, dass die Cella
mit ihrer Vor- und Hinterhalle älter sei als die Ringhalle.
Mir scheint das aber aus mehreren Gründen nicht mög-
lich zu sein. Erstens sind die Mauern und Fundamente
der Cella aus demselben Material und in derselben
Technik erbaut, wie der Stylobat und sein Fundament.
Bei beiden ist derselbe Muschelkalk mit grossen Auster-
schalen verwendet, der bei anderen Bauten fast gar nicht
vorkommt, und bei beiden besteht der unterste Teil der
Fundamente aus grossen Flussgeschieben. Zweitens ist
die Stufe, welche um die Cella läuft, an ihrer senkrechten
Aussenfiäche nicht glatt bearbeitet, wie es nötig wäre
wenn der Naos einst ohne Säulenhalle freigestanden hätte.
Drittens scheint es mir nicht annehmbar, dass man sich
bei einer späteren Hinzufügung der Aussensäulen nach
den Axen der Innensäulen gerichtet haben sollte. Es
haben die inneren und äusseren Säulen nicht nur gleiche
Axweiten, sondern sind auch axial aufgestellt. Eine solche
Anordnung stellt nur derjenige her, welcher den Entwurf
eines Tempels anfertigt, niemals aber der, welcher um
eine fertige Cella eine Ringhalle herumlegen soll.
Gerade bei der Seltenheit solcher übereinstimmenden
Axenteilung im Inneren und Äusseren scheint es mir
sicher, dass wir im Heraion einen einheitlich aus-
geführten Bau vor uns haben.
Über die späteren Schicksale des Tempels mögen
einige Worte genügen: Die ursprünglichen Holzsäulen
sind, wie wir schon sahen, etwa vom 7. Jahrhundert ab
durch Steinsäulen ersetzt worden und zwar ganz allmälig.
Zu gleicher Zeit traten auch Steinsäulen an die Stelle der
hölzernen Innensäulen und die Zungenmauern aus Luft-
ziegeln und Quadern wurden entfernt. Vielleicht ist
schon im 7. Jahrhundert das ursprüngliche Lehmdach
durch ein Giebeldach mit Thonziegeln ersetzt worden.
Nach Erbauung des Zeustempels trat das Heraion,
welches bis dahin vielleicht der einzige Tempel Olympias
gewesen war, an Bedeutung zurück. Während es vor-
her, wie man vermutet hat, ein gemeinsamer Tempel
der Hera und des Zeus war, blieb es von da ab nur
der Tempel der Hera.
Wesentliche Veränderungen hat der Tempel bis zu
seinem Untergange nicht mehr erlebt. Ob man das
Gebälk und etwa auch die Luftziegelmauern im Laufe
der Jahrhunderte einmal erneuert hat, wissen wir nicht.
Nur das fleht fest, dass die Cella, wahrscheinlich in
römischer Zeit, im Inneren und Äusseren mit neuem
Stuck überzogen worden ist.
Nachdem der Tempel in spätrömischer Zeit seines
Daches beraubt war, lösten sich die Ziegel auf und
bildeten eine Lehmschicht, welche den ganzen Bau etwa
einen Meter hoch bedeckte. Später bauten die Byzan-
tiner die Wände in roher Weise wieder auf. Die Unter-
teile der alten Wände und Säulen und der ganze
Stylobat lagen unter dem Lehm verborgen und blieben
so erhalten. Diese Lehmschicht war es auch, welche
den damals umgestürzten Hermes des Praxiteles den
Augen der byzantinischen Kalkbrenner entzogen hat.
Wozu die Tempelcella in byzantinischer Zeit diente,
ist nicht zu bestimmen. Im Opisthodom war eine Wein-
kelter eingerichtet.
Die Säulen der Ringhalle standen damals zum
grossen Teil noch aufrecht. Sie sind erst umgefallen
oder weggeschleppt worden, als das in der Altis errichtete
byzantinische Dorf und der ganze heilige Bezirk schon
von dem Kladeos hoch verschüttet war