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I. Studien zur Geschichte der Artemis.
die überraschende Menge von Beinamen als eine Thatsache
hingenommen, welche zum Preise der Gottheit verwerthet wurde;
denn die Polyonymie ist die höchste Ehre der Olympier; die
religiösen Lieder, in denen man die Gottheiten von allen ihren
Lieblingsitzen herbeirief, die xL^xo/, ergingen sich mit
Vorliehe in Aufzählung der über Land und Meer verbreiteten
Heiligthümer, und von Alkman an, welcher von den zehntausend
Bergen, Städten und Flüssen sang, an denen der Göttin Name
hafte (Menander bei Walz, Rhet. IX 136), bis Kallimachos
wird von den Dichtern der Namenreichthum als etwas für
Artemis Charakteristisches hervorgehoben, so dafs yroAomropog
selbst wieder zu einem Namen der Göttin wird (<ü yroAotJrope
^^o^ör^ Aristoph. Thesm. 320).
Fassen wir die Beinamen nach ihren Gattungen ins Auge,
so unterscheiden wir solche, welche das Wesen der Gottheit
bezeichnen, wic ferner Oultusnamen, die sich an einem
hervorragenden Tempelorte ausgebildet und dann als Eigennamen
verbreitet haben, wie Tauropolos, Ephesia, Munichia, Pergaia;
drittens Namen, die sich an Oertlichkeiten anschliefsen, an
Landseen und Stimpfe, wie Heleia, Limnaia, Limnatis; an
hiefsende Gewässer, wie Alpheiaia, Alpheiussa; an die Vege-
tation, wie Daphnaia, Kedreates, Skiatis; an Höhen und Berge,
wie Koryphaia, Konduleatis (wie xordo/toopat anschweilen),
Knakalesia. Diese Namen sind wieder doppelter Art, entweder
ursprünglich am Orte haftend oder übertragen. So kann es
Heiligthtimer der Limnatis ohne Limne geben, wie z. B. im
Taygetos (Pelop. II 158), weil dies Gränzheiligthum im Hoch-
gebirge ein Filial der Limnatis am Eurotas war. (Vgl. Archäo-
logische Zeitung XXXIV S. 30.)
Das griechische Volk tritt mit seinen Götterdiensten in die
Geschichte ein. Die Dienste der Götter können aber nicht zu-
gleich und auf einmal geworden sein, denn jeder neue Dienst
ist eine Epoche des Volkslebens gewesen. Um uns also von
den vorgeschichtlichen Thatsachen eine Vorstellung zu verschaifen,
können wir nur die verschiedenen Epochen in ihrer Reihenfolge
zu erkennen suchen; wir müssen also dem Beispiel der Geo-
logen folgen, welche die mannigfaltige Gestalt des Bodens in
der Weise zu begreifen suchen, dafs sie die älteren und die
jüngeren Schichten unterscheiden, aus denen sich die Erdober-
häche allmählich so gebildet hat, wie sie uns vorliegt.
I. Studien zur Geschichte der Artemis.
die überraschende Menge von Beinamen als eine Thatsache
hingenommen, welche zum Preise der Gottheit verwerthet wurde;
denn die Polyonymie ist die höchste Ehre der Olympier; die
religiösen Lieder, in denen man die Gottheiten von allen ihren
Lieblingsitzen herbeirief, die xL^xo/, ergingen sich mit
Vorliehe in Aufzählung der über Land und Meer verbreiteten
Heiligthümer, und von Alkman an, welcher von den zehntausend
Bergen, Städten und Flüssen sang, an denen der Göttin Name
hafte (Menander bei Walz, Rhet. IX 136), bis Kallimachos
wird von den Dichtern der Namenreichthum als etwas für
Artemis Charakteristisches hervorgehoben, so dafs yroAomropog
selbst wieder zu einem Namen der Göttin wird (<ü yroAotJrope
^^o^ör^ Aristoph. Thesm. 320).
Fassen wir die Beinamen nach ihren Gattungen ins Auge,
so unterscheiden wir solche, welche das Wesen der Gottheit
bezeichnen, wic ferner Oultusnamen, die sich an einem
hervorragenden Tempelorte ausgebildet und dann als Eigennamen
verbreitet haben, wie Tauropolos, Ephesia, Munichia, Pergaia;
drittens Namen, die sich an Oertlichkeiten anschliefsen, an
Landseen und Stimpfe, wie Heleia, Limnaia, Limnatis; an
hiefsende Gewässer, wie Alpheiaia, Alpheiussa; an die Vege-
tation, wie Daphnaia, Kedreates, Skiatis; an Höhen und Berge,
wie Koryphaia, Konduleatis (wie xordo/toopat anschweilen),
Knakalesia. Diese Namen sind wieder doppelter Art, entweder
ursprünglich am Orte haftend oder übertragen. So kann es
Heiligthtimer der Limnatis ohne Limne geben, wie z. B. im
Taygetos (Pelop. II 158), weil dies Gränzheiligthum im Hoch-
gebirge ein Filial der Limnatis am Eurotas war. (Vgl. Archäo-
logische Zeitung XXXIV S. 30.)
Das griechische Volk tritt mit seinen Götterdiensten in die
Geschichte ein. Die Dienste der Götter können aber nicht zu-
gleich und auf einmal geworden sein, denn jeder neue Dienst
ist eine Epoche des Volkslebens gewesen. Um uns also von
den vorgeschichtlichen Thatsachen eine Vorstellung zu verschaifen,
können wir nur die verschiedenen Epochen in ihrer Reihenfolge
zu erkennen suchen; wir müssen also dem Beispiel der Geo-
logen folgen, welche die mannigfaltige Gestalt des Bodens in
der Weise zu begreifen suchen, dafs sie die älteren und die
jüngeren Schichten unterscheiden, aus denen sich die Erdober-
häche allmählich so gebildet hat, wie sie uns vorliegt.